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Der Papalagi

Der Papalagi

Titel: Der Papalagi
Autoren: Erich Scheuermann
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bereitet. In diesem dunklen Raum kann er ohne Scham und ohne daß die anderen Menschen seine Augen dabei sehn, sich in ein falsches Leben hineintun. Der Arme kann den Reichen spielen, der Reiche den Armen, der Kranke kann sich gesunddenken, der Schwache stark. Jeder kann hier im Dunkeln an sich nehmen und im falschen Leben erleben, was er im wirklichen Leben nicht erlebt und nie erleben wird.
    Sich diesem falschen Leben hinzugeben ist eine große Leidenschaft des Papalagi geworden, sie ist oft so groß, daß er sein wirkliches Leben darüber vergißt. Diese Leidenschaft ist krank, denn ein rechter Mann will nicht in einem dunklen Raum ein Scheinleben haben, sondern ein warmes wirkliches in der hellen Sonne. Die Folge dieser Leidenschaft ist, daß viele Papalagi, die da aus dem Orte des falschen Lebens treten, dieses nicht mehr vom wirklichen Leben unterscheiden können und wirr geworden, sich reich glauben, wenn sie arm, oder schön, wenn sie häßlich sind. Oder Untaten tun, die sie in ihrem wirklichen Leben nie getan hätten, die sie aber tun, weil sie das nicht mehr unterscheiden können, was wirklich ist und was nicht ist. Es ist ein ganz ähnlicher Zustand wie ihr alle ihn an dem Europäer kennt, wenn er zuviel europäische Kava getrunken hat und glaubt auf Wellen zu gehen.
    Auch die vielen Papiere erwirken eine Art Rausch und Taumel über den Papalagi. – Was dies ist, die vielen Papiere? – Denkt euch eine Tapamatte, dünn, weiß, zusammengefaltet, geteilt und nochmals gefaltet, alle Seiten eng beschrieben, ganz eng – das ist die vielen Papiere, oder wie es der Papalagi nennt, die Zeitung.
    In diesen Papieren liegt die große Klugheit des Papalagi. Er muß jeden Morgen und Abend seinen Kopf zwischen sie halten, um ihn neu zu füllen und ihn satt zu machen, damit er besser denkt und viel in sich hat; wie das Pferd auch besser läuft, wenn es viele Bananen gefressen hat und sein Leib ordentlich voll ist. Wenn der Alii noch auf der Matte liegt, eilen schon Boten durchs Land und verteilen die vielen Papiere. Es ist das erste, wonach der Papalagi greift, nachdem er den Schlaf von sich stieß. Er liest. Er bohrt seine Augen in das, was die vielen Papiere erzählen. Und alle Papalagi tun das Gleiche – auch sie lesen. Sie lesen, was die höchsten Häuptlinge und Sprecher Europas auf ihren Fonos gesagt haben. Dies steht genau auf der Matte aufgezeichnet, selbst wenn es etwas ganz Törichtes ist. Auch ihre Lendentücher, die sie anhatten, sind genau beschrieben, was jene Alii gegessen haben, wie ihr Pferd heißt, ob sie selber Elephantiasis 1 oder schwache Gedanken haben.
    Dies, was sie erzählen, würde in unserm Lande folgendermaßen lauten: Der Pule nuu 2 von Matautu hat heute morgen nach gutem Schlafe zunächst einen Rest Taro vom Abend vorher gegessen, danach ging er zum Fischen, kehrte um Mittag wieder in seine Hütte zurück, lagerte auf seiner Hausmatte und sang und las in der Bibel bis zum Abend. Seine Frau Sina hat zuerst ihr Kind gesäugt, ist dann zum
    1 Eine Krankheit, Wucherung der Gewebe, bei der die Gliedmaßen unnatürlich anschwellen
2 Der Richter
    Bade gegangen und fand auf dem Heimwege eine schöne Puablume, mit der sie ihr Haar schmückte und wieder in ihre Hütte zurückkehrte. Und so fort.
    Alles, was geschieht und was die Menschen tun und nicht tun, wird mitgeteilt; ihre schlechten und guten Gedanken ebenso wie wenn sie ein Huhn oder Schwein schlachteten oder sich ein neues Canoe gebaut haben. Es geschieht und gibt nichts im weiten Lande, das diese Matte nicht gewissenhaft erzählt. Der Papalagi nennt dies: ›über alles gut unterrichtet sein‹. Er will unterrichtet sein über alles, was von einem Sonnenuntergang zum anderen in seinem Lande geschieht. Er ist empört, wenn ihm etwas entgeht. Er nimmt alles gierig in sich auf. Obwohl auch alle Schrecklichkeiten mitverkündet werden und alles das, was ein gesunder Menschenverstand am liebsten ganz schnell wieder vergißt. Ja gerade dieses Schlechte und Wehtuende wird noch genauer mitgeteilt als alles Gute, ja bis in alle Einzelheiten, als ob das Gute mitzuteilen nicht viel wichtiger und fröhlicher wäre, als das Schlechte.
    Wenn du die Zeitung liest, brauchst du nicht nach Apolima, Manono oder Savaii zu reisen, um zu wissen, was deine Freunde tun, denken und feiern. Du kannst ruhig auf deiner Matte liegen, die vielen Papiere erzählen dir alles. Dies scheint sehr schön und angenehm, doch dies ist nur ein Trugschluß. Denn wenn du nun
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