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Der Papalagi

Der Papalagi

Titel: Der Papalagi
Autoren: Erich Scheuermann
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kann. Daß man geblendet ist, wenn man hineinkommt, noch geblendeter, wenn man wieder hinausgeht. Hier schleichen sich die Menschen hinein, tasten an den Wänden entlang, bis eine Jungfrau mit einem Feuerfunken kommt und sie dahin führt, wo noch Platz ist. Ganz dicht hockt ein Papalagi neben dem anderen in der Dunkelheit, keiner sieht den anderen, der dunkle Raum ist mit schweigenden Menschen gefüllt. Jeder einzelne sitzt auf einem schmalen Brettchen; alle Brettchen stehen in Richtung nach der einen gleichen Wand hin.
    Vom Grunde dieser Wand, wie aus einer tiefen Schlucht, dringt lautes Getön und Gesumme hervor, und sobald die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkennt man einen Papalagi, der sitzend mit einer Truhe kämpft. Er schlägt mit ausgespreizten Händen auf sie ein, auf viele kleine weiße und schwarze Zungen, die die große Truhe hervorstreckt, und jede Zunge kreischt laut auf und jede mit einer anderen Stimme bei jeder Berührung, daß es ein wildes und irres Gekreisch verursacht wie bei einem großen Dorfstreit.
    Dieses Getöse soll unsere Sinne ablenken und schwach machen, daß wir glauben, was wir sehen und nicht daran zweifeln, daß es wirklich ist. Geradevor an der Wand erstrahlt ein Lichtschein, als ob ein starkes Mondlicht darauf schiene, und in dem Scheine sind Menschen, wirkliche Menschen, die aussehen und gekleidet sind wie richtige Papalagi, die sich bewegen und hin- und hergehen, die laufen, lachen, springen, geradeso wie man es in Europa allerorten sieht. Es ist wie das Spiegelbild des Mondes in der Lagune. Es ist der Mond, und er ist es doch nicht. So auch ist dies nur ein Abbild. Jeder bewegt den Mund, man zweifelt nicht, daß sie sprechen, und doch hört man keinen Laut und kein Wort, so genau man auch hinhorcht und so quälend es auch ist, daß man nichts hört. Und dies ist auch der Hauptgrund, weshalb jener Papalagi die Truhe so schlägt: er soll damit den Anschein erwecken, als könne man die Menschen nur nicht hören in seinem Getöse. Und deshalb erscheinen auch zuweilen Schriftzeichen an der Wand, die da künden, was der Papalagi gesagt hat oder noch sagen wird.
    Trotzdem – diese Menschen sind Scheinmenschen und keine wirklichen Menschen. Wenn man sie anfassen würde, würde man erkennen, daß sie nur aus Licht sind und sich nicht greifen lassen. Sie sind nur dazu da, dem Papalagi alle seine Freuden und Leiden, seine Torheiten und Schwächen zu zeigen. Er sieht die schönsten Frauen und Männer ganz in seiner Nähe. Wenn sie auch stumm sind, so sieht er doch ihre Bewegungen und das Leuchten der Augen. Sie scheinen ihn selber anzuleuchten und mit ihm zu sprechen. Er sieht die höchsten Häuptlinge, mit denen er nie zusammenkommen kann, ungestört und nahe wie seinesgleichen. Er nimmt an großen Essenshuldigungen, Fonos und anderen Festen teil, er scheint selber immer dabei zu sein und mitzuessen und mitzufeiern. Aber er sieht auch, wie der Papalagi das Mädchen einer Aiga raubt. Oder wie ein Mädchen seinem Jüngling untreu wird. Er sieht wie ein wilder Mann einen reichen Alii an die Gurgel packt, wie seine Finger sich tief in das Fleisch des Halses drücken, die Augen des Alii hervorquellen, wie er tot ist und ihm der wilde Mann sein rundes Metall und schweres Papier aus dem Lendentuche reißt.
    Währenddem nun das Auge des Papalagi solche Freuden und Schrecklichkeiten sieht, muß er ganz stille sitzen; er darf das untreue Mädchen nicht schelten, darf dem reichen Alii nicht beispringen, um ihn zu retten. Aber dies macht dem Papalagi keinen Schmerz; er sieht dies alles mit großer Wollust an, als ob er gar kein Herz habe. Er empfindet keinen Schrecken und keinen Abscheu. Er beobachtet alles, als sei er selber ein anderes Wesen. Denn der, welcher zusieht, ist immer der festen Meinung, er sei besser als die Menschen, welche er im Lichtschein sieht und er selber umginge alle die Torheiten, die ihm gezeigt werden. Still und ohne Luftnehmen hangen seine Augen an der Wand, und sobald er ein starkes Herz und ein edles Abbild sieht, zieht er es in sein Herz und denkt: dies ist mein Abbild. Er sitzt völlig unbewegt auf seinem Holzsitz und starrt auf die steile, glatte Wand, auf der nichts lebt als ein täuschender Lichtschein, den ein Zauberer durch einen schmalen Spalt der Rückwand hereinwirft und auf dem doch so vieles lebt als falsches Leben.
    Diese falschen Abbilder, die kein wirkliches Leben haben, in sich hineinziehen, das ist es, was dem Papalagi so hohen Genuß
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