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Der Papalagi

Der Papalagi

Titel: Der Papalagi
Autoren: Erich Scheuermann
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wie schön scheint sie jetzt. Das ist falsch. Grundfalsch. Töricht. Denn es ist besser, gar nicht zu denken, wenn sie scheint. Ein kluger Samoaner dehnt seine Glieder im warmen Lichte und denkt
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    Auf Reisen gehen
    nichts dabei. Er nimmt die Sonne nicht nur mit dem Kopfe an sich, sondern auch mit den Händen, Füßen, Schenkeln, dem Bauche, mit allen Gliedern. Er läßt seine Haut und Glieder für sich denken. Und sie denken sicher auch, wenn auch in anderer Weise als der Kopf. Dem Papalagi ist aber das Denken vielfach im Wege wie ein großer Lavablock, den er nicht forträumen kann. Er denkt wohl fröhlich, aber lacht dabei nicht: er denkt wohl traurig, aber weint dabei nicht. Er ist hungrig, aber greift nicht zum Taro oder Palusami 1 . Er ist zumeist ein Mensch, dessen Sinne in Feindschaft leben mit seinem Geiste; ein Mensch, der in zwei Teile zerfällt.
    Das Leben des Papalagi gleicht vielfach einem Manne, der eine Bootsfahrt nach Savaii macht und der, kaum daß er vom Ufer abstößt, denkt: Wie lange mag ich wohl brauchen, bis ich nach Savaii komme? Er denkt, aber sieht nicht die freundliche Landschaft, durch die seine Reise geht. Bald schiebt sich am linken Ufer ein Bergrücken vor. Kaum daß sein Auge ihn nimmt, so kann er davon nicht lassen. Was mag wohl hinter dem Berge sein? Ob es wohl eine tiefe oder enge Bucht ist? Er vergißt über solchem Denken, die Bootsgesänge der Jünglinge mitzusingen; er hört auch die fröhlichen Scherze der
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    Ein Lieblingsgericht des Samoaners
    Jungfrauen nicht. Kaum liegt die Bucht und der Bergrücken hinter ihm, so plagt ihn ein neuer Gedanke: ob wohl bis zum Abend Sturm komme. Ja, ob wohl Sturm komme. Er sucht am hellen Himmel nach finsteren Wolken. Er denkt immer an den Sturm, der wohl kommen könne. Der Sturm kommt nicht, und er erreicht Savaii am Abend ohne Schaden. Doch nun ist ihm, als ob er die Reise gar nicht gemacht habe, denn immer waren seine Gedanken weit von seinem Leibe und ausserhalb des Bootes. Er hätte ebenso gut in seiner Hütte in Upolu bleiben können.
    Ein Geist aber, der uns derart plagt, ist ein Aitu, und ich begreife nicht, warum ich ihn viel lieben soll. Der Papalagi liebt und verehrt seinen Geist und nährt ihn mit Gedanken aus seinem Kopfe. Er läßt ihn nie hungern, aber es macht ihm auch wenig Beschwer, wenn die Gedanken sich gegenseitig verspeisen. Er macht viel Geräusch mit seinen Gedanken und läßt sie laut werden wie unerzogene Kinder. Er gebart sich, als wären seine Gedanken ebenso köstlich wie Blüten, Berge und Wälder. Er spricht von seinen Gedanken, als sei dagegen nicht wert, wenn ein Mann tapfer und ein Mädchen fröhlichen Sinnes ist. Er gehabt sich geradeso, als ob es irgendwo ein Gebot gäbe, daß der Mensch viel denken müsse. Ja, daß dieses Gebot von Gott sei. Wenn die Palmen und Berge denken, machen sie doch auch nicht viel Lärm dabei. Und sicherlich, würden die Palmen so laut und wild denken wie die Papalagi, so hätten sie keine schönen grünen Blätter und keine goldenen Früchte. (Denn das ist eine feste Erfahrung, daß Denken schnell alt und hässlich macht). Sie würden abfallen, ehe sie reif sind. Es ist aber wahrscheinlicher, daß sie sehr wenig denken.
    Es gibt zudem gar vielerlei Art und Weise zu denken und mannigfache Ziele für den Pfeil des Geistes. Traurig ist das Los der Denker, die in die Ferne denken. Wie wird dies sein, wenn die nächste Morgenröte kommt? Was wird der große Geist mit mir vorhaben, wenn ich in das Salefe’e 1 komme? Wo war ich, ehe mir die Boten des Tagaloa 2 die Agaga 3 schenkten? Dieses Denken ist so unnütz wie wenn einer die Sonne mit geschlossenen Augen sehen will. Es geht nicht. So ist es auch nicht möglich, in die Ferne und in den Anfang zuende zu denken. Das verspüren die, welche es versuchen. Sie hocken von ihren Jünglingsjahren bis zum Mannesalter wie die Eisvögel an einer Stelle. Sehen die Sonne nicht mehr, das weite Meer, das liebe Mädchen, keine Freude, kein Nichts, kein Garnichts. Selbst die Kava schmeckt ihnen nicht mehr, und beim Tanz auf
    1 Die samoanische Unterwelt
2 Der höchste Gott in der Sage
3 Die Seele
    dem Dorfplatz sehen sie vor sich nieder auf die Erde. Sie leben nicht, obwohl sie auch nicht tot sind. Die schwere Krankheit des Denkens hat sie überfallen.
    Dieses Denken soll den Kopf groß und hoch machen. Wenn einer viel und schnell denkt, sagt man in Europa, er sei ein großer Kopf. Statt mit diesen großen Köpfen Mitleid zu haben, werden sie
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