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Der Papalagi

Der Papalagi

Titel: Der Papalagi
Autoren: Erich Scheuermann
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besonders verehrt. Die Dörfer machen sie zu ihren Häuptlingen, und wohin ein großer Kopf kommt, da muß er öffentlich vor den Menschen denken, was allen viele Wollust bereitet und viel bewundert wird. Wenn ein großer Kopf stirbt, dann ist Trauer im ganzen Land und viel Wehklagen um das, was verloren ist. Man macht ein Spiegelbild des großen toten Kopfes in Felsgestein und stellt es vor aller Augen auf dem Marktplatze auf. Ja man macht diese steinernen Köpfe noch viel größer, als sie im Leben waren, damit das Volk sie ja recht bewundere und sich demütig auf den eigenen kleinen Kopf besinnen kann.
    Wenn man nun einen Papalagi fragt: warum denkst du so viel? antwortet er: weil ich nicht dumm bleiben will und mag. Es gilt als valea 1 , jeder Papalagi, welcher nicht denkt; wenngleich er doch eigentlich klug ist, der nicht viel denkt und seinen Weg doch findet.
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    Dumm
    Ich glaube aber, daß dies nur ein Vorwand ist und der Papalagi einem schlechten Triebe nachgeht. Daß der eigentliche Zweck seines Denkens ist, hinter die Kräfte des großen Geistes zu kommen. Ein Tun, das er selber mit dem wohlklingenden Titel: »erkennen« bezeichnet. Erkennen, das heißt, ein Ding so nahe vor Augen haben, daß man mit der Nase daran, ja hindurch stößt. Dieses Durchstoßen und Durchwühlen aller Dinge ist eine geschmacklose und verächtliche Begierde des Papalagi. Er ergreift den Skolopender 1 , durchstößt ihn mit einem kleinen Speere, reißt ihm ein Bein aus. Wie sieht so ein Bein getrennt von seinem Leibe aus? Wie war es am Leibe festgemacht? Er zerbricht das Bein, um die Dicke zu prüfen. Das ist wichtig, ist wesentlich. Er stößt einen sandkorngroßen Splitter vom Beine ab und legt ihn unter ein langes Rohr, das eine geheime Kraft hat und die Augen viel schärfer sehen läßt. Mit diesem großen und starken Auge durchsucht er alles, deine Träne, einen Fetzen deiner Haut, ein Haar, alles, alles. Er zerteilt alle diese Dinge, bis er an einen Punkt kommt, wo sich nichts mehr zerbrechen und zerteilen läßt. Obwohl dieser Punkt allemal der kleinste ist, so ist er doch zumeist der allerwesentlichste, denn er ist der Ein
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    Eine Art Tausendfüßler
gang zur höchsten Erkenntnis, die nur der große Geist besitzt.
    Dieser Eingang ist auch dem Papalagi verwehrt, und seine besten Zauberaugen haben noch nicht hineingeschaut. Der große Geist läßt sich seine Geheimnisse nie nehmen. Nie. Es ist noch niemand höher geklettert, als die Palme hoch war, die seine Beine umschlungen hielten. Bei der Krone mußte er umkehren; es fehlte ihm der Stamm, um höher hinauf zu klimmen. Der große Geist liebt auch die Neugierde der Menschen nicht, deshalb hat er über alle Dinge große Lianen gezogen, die ohne Anfang und Ende sind. Deshalb wird jeder, der allem Denken genau nachspürt, sicherlich herausfinden, daß er am Ende immer dumm bleibt und dem großen Geiste die Antworten lassen muß, die er sich selber nicht geben kann. Die klügsten und tapfersten der Papalagi geben dies auch zu. Trotzdem lassen die meisten Denkkranken nicht von ihrer Wollust ab, und daher kommt es, daß das Denken den Menschen auf seinem Wege so vielfach in die Irre führt, geradeso als ginge er im Urwald, wo noch kein Pfad getreten ist. Sie verdenken sich, und ihre Sinne können, wie es tatsächlich vorgekommen ist, plötzlich Mensch und Tier nicht mehr unterscheiden. Sie behaupten, der Mensch sei ein Tier und das Tier menschlich.
    Schlimm und verhängnisvoll ist es darum, daß alle Gedanken, einerlei ob sie gut oder schlecht sind, alsogleich auf dünne weiße Matten geschleudert werden. »Sie werden gedruckt«, sagt der Papalagi. Das heißt: was jene Kranken denken, wird nun auch noch mit einer Maschine, die höchst geheimnisvoll und wunderreich ist, die tausend Hände und den starken Willen von vielen großen Häuptlingen hat, aufgeschrieben. Aber nicht einmal oder nur zweimal, sondern viele Male, unendlich viele Male, immer dieselben Gedanken. Viele Gedankenmatten werden dann in Bündeln zusammengepreßt – »Bücher« nennt sie der Papalagi – und in alle Teile des großen Landes verschickt. Alle werden bald angesteckt, die diese Gedanken in sich einnehmen. Und man verschlingt diese Gedankenmatten wie süße Bananen, sie liegen in jeder Hütte, man häuft ganze Truhen voll und jung und alt nagen daran, wie die Ratten am Zuckerrohr. Daher kommt es, daß so wenige noch vernünftig denken können, in natürlichen Gedanken, wie sie ein jeder aufrechter
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