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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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prüfen.«
    »Selbstverständlich«, sagte sie devot. Sie konnte spüren, wie das Schiff wartete. Es würde nicht mehr lange warten.
    »Bei Ihnen bin ich mir da nicht so sicher. Sie scheinen mir eine etwas unzuverlässige Kandidatin zu sein. In Ihren Daten gibt es allerhand ungeklärte Punkte. Sie sind einmal wegen eines Gewaltdelikts verurteilt worden.«
    »Angeklagt, nicht verurteilt. Der Prozess endete mit einem Freispruch. Bitte lassen Sie mich jetzt zu meinem Schiff.« Ich bring dich um, dachte sie. Ich schmier dem Gehirn über den Tisch.
    Der Hafenmeister studierte scheinbar eine Liste. »Ah ja, tatsächlich. Nun, wie heißt es so schön: Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Sie sind bestimmt nicht umsonst angeklagt worden. Ich spüre das.«
    Latil sah ihn an. Sei leer, sagte sie sich. Sei leer, und er kann dich nicht kitzeln.
    Eines der Felder auf seinem Tisch zeigte ihr Gesicht. Der Hafenmeister rieb mit seinem Zeigefinger darauf herum, als wollte er es wegradieren.
    »Wenn Sie Sprachen lernen wollen, warum nehmen Sie dann solche Pulver«, fragte er fast schmollend. »Es gibt hier gute Sprachschulen. In ein bis zwei Wochen hätten Sie Taa passabel gesprochen. Stattdessen immer diese Pulver und andere Sachen, die niemand wirklich braucht. Diese Schnelllebigkeit in unserer Zeit macht mich krank.«
    »Ich bin in Eile, Euer Exzellenz. Ich muss schnell zum Opal. Daher musste ich die Sprache schnell lernen. Bitte lassen Sie mich jetzt zu meinem Schiff, Hoheit.«
    Es hatte so natürlich und angenehm geklungen wie ein Nagel, der über Blech kratzt. Er hob den Kopf. Ein nichts sagendes Bürokratengesicht.
    »Ich will mal nicht so sein«, sagte er. »Passage englouti, Deck Frohe Erwartung, Box 24 a/l. Hier ist Ihr Passierchip.«
    Er warf ein schwarz-weißes Plättchen auf den Tisch. Der gezackte Passierchip brannte kühl in Latils Hand, als sie ihre Finger darum schloss. Sie stand auf. Der Hafenmeister stand auf. Seine Hose war so geschnitten, dass sie sein erigiertes Geschlecht freigab. Der Penis war zu lang und zu dick, um natürlich gewachsen zu sein. Die blaurot angeschwollene Eichel war so groß wie ein Hühnerei.
    »Sie haben also kein Geld«, sagte er nüchtern. »Sie werden auch nie welches bekommen.«
    Als sich die Tür hinter Latil schloss, spürte sie bizarrerweise so etwas wie Mitleid. Ithyphallismus war im Sektor eigentlich vor zwei Jahren Mode gewesen. Möglicherweise konnte sich der Hafenmeister die Rückoperation nicht leisten.
     
    Trotz dieses Anflugs von Mitleid fühlte sie sich auf dem Weg zur Frohen Erwartung beschmutzt. Sie wollte sich die Kleider vom Leib reißen, sie wollte sich in klares Wasser stürzen und darin baden, bis alle schlechten Gedanken und Gefühle von ihr abgewaschen waren. Sie wollte baden, bis sie reich war und charakterlich geeignet und frei genug, alle Hafenmeister dieser Welt zu erwürgen, wenn es nötig war. Sie schlug mit aller Kraft auf die Knöpfe an den Aufzügen ein und trippelte nervös von einem Fuß auf den anderen, während sie fuhr. Sie rannte. Ihre Lungen brannten. »Frohe Erwartung!«, schrie sie immer, wenn sie aus dem Aufzug sprang, damit das Leitsystem ihr den Weg ansagen konnte. »Erste rechts«, »Aufzug drittes Geschoss«, »Blauer Gang«, »Grüner Gang«, »Den Leuchtpfeilen nach«. Eigentlich war sie gut in Form, aber die schwere Tasche zehrte an ihren Kräften. Und zwei- oder dreimal hörte sie nicht genau genug hin und verfuhr sich. Auf der Frohen Erwartung angekommen, schrie sie nur noch »Box 24 a/l«, wie eine Verrückte, die in der Fremde alle Leute lauthals nach etwas fragt, was es dort seit Jahren nicht mehr gibt.
    In der leicht ansteigenden Röhre zu ihrer Box bemerkte sie zunächst die Schwingungen nicht. Pam-pam-pam machten ihre Füße auf dem schallgedämpften Boden. Aber etwa hundert Meter vor der Tür zur Box hörte und spürte sie das dumpfe Dröhnen doch, das umso lauter wurde, je näher sie der Tür kam. Und erst zwanzig Meter später hatte sich die Erkenntnis durch ihre körperliche Erschöpfung hindurchgefressen, dass alles umsonst gewesen war. Die Passage englouti startete. Daher das dumpfe Dröhnen. Sie lief schneller. »Passage englouti!«, schrie sie, »Passage englouti!« Sie wusste, dass es nichts nützte, das Schiff konnte sie nicht hören. Sie wusste, dass es vorbei war. Und trotzdem lief sie schneller. Sie konnte gar nichts dagegen tun. Sie konnte nicht aufgeben. Es war keine Hoffnung, die sie antrieb. Es war die reine Verzweiflung.
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