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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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die Rechnung bezahlen. Schwierig, dachte sie, schwierig. Ihr ganzer Oberkörper war schweißnass. Von ihrem Chip, der in dem leise tickenden Anzeiger an der Wand steckte, wurde Minute um Minute abgebucht. Ein teures Hotel, mit halbhumanen Angestellten. Aber sich in einem der dreckigen Automatenhotels mit ein oder zwei Ratten das Zimmer teilen, die sich durch die Isolierung genagt hatten? Danke, danke nein. Im grellen Licht der Deckenlampen wirkte ihre Haut jetzt wie geölt. Man konnte die kleinen kreisrunden Narben fast nicht sehen. Helle kleine Monde an ihren Armen und ihren Brüsten. An ihren sozusagen nicht vorhandenen Brüsten. An ihrem Hosenbund, dessen Gummizug schon etwas ausgeleiert war, begann der Schweiß einen Trauerrand zu bilden. Die Haut ihrer Hände brannte, wo die Fingernägel sich eingegraben hatten. »Lass es doch vorbei sein«, bat sie niemand Bestimmtes. Und dann war es wirklich vorbei. Sie fiel hin wie ein nasser Sack. Einer neuen Sprache mächtig.
    Als sie drei Stunden später wieder aufwachte, waren ihre Gelenke voller Sand. Sie hatte von der Spindel geträumt. Das Aufstehen machte ihr Mühe, ihr Gaumen fühlte sich an wie trockenes Rattenfell, ihr Herz schien nicht an der richtigen Stelle zu sein. Muskelkater war nicht der richtige Begriff. Sie war unterkühlt. Der Verbrauchsanzeiger stand auf 1%, sie musste so schnell wie möglich von hier verschwinden. Sie verzichtete aus Kostengründen auf die Dusche und klebte sich ein Desinfektorplättchen auf den Bauch. Der Schweißrand an ihrem Hosensaum war schon getrocknet. Sie warf sich ein ärmelloses Hemd über, packte ihren Mist in die Tasche, die all ihre Reichtümer enthielt (vor allem den Druckanzug), riss den Chip aus dem Anzeiger und wurde von dem Zimmer deswegen mit losen Schuhbändern vor die Tür gebeten. Die Desinfektion begann, während die Tür sich schloss. Klicckliccklick machte es in ihrem Hirn, während sie in der spiegelnden Tür den Aufdruck auf ihrem Hemd zu lesen versuchte, buh stand da, spiegelverkehrt.
    »Habe ich was vergessen?«, fragte sie müde.
    »Bei Beschwerden wenden Sie sich bitte an das Personal. Danke, dass Sie unser Gast waren.«
    »Ich will mich nicht an das Personal wenden«, sagte sie so laut, dass es in ihren eigenen Ohren falsch klang. »Ich will von dir wissen, ob ich etwas vergessen habe.«
    »Wenden Sie sich bitte an das Personal. Dieses Zimmer wird gerade desinfiziert und ist aufgrund einer Anschlussbuchung für die nächsten zwei Tage nicht verfügbar. Fundstücke werden Ihnen automatisch an die Heimatadresse nachgeschickt.«
    Latil rief sich ins Gedächtnis, dass sie mit einer Tür sprach, und gab es auf. Heimatadresse, das war gut. Sie wusste nicht einmal mehr, was sie als Heimatadresse angegeben hatte. Sie folgte den Pfeilen, auf denen ›Ausgang‹ stand, und denen ein kleines rotes Männchen ohne Geschlechtsmerkmale hinterherlief. Das Blumenmuster des Teppichbodens erfüllte sie mit dem Wunsch, es zu beschmutzen. Sie entdeckte das Kameraauge gerade noch rechtzeitig, ihre Backen waren schon zum Ausrotzen aufgeblasen. Sei brav, sagte sie sich, nachdem sie ihren eigenen Speichel geschluckt hatte. Sei rational. In einem Hotel auszuspucken hatte sie schon einmal 5 % gekostet. Dass sie ihre Ohrstöpsel in dem Zimmer vergessen hatte, bemerkte sie erst auf einem anderen Deck.
     
    Sie fluchte noch leise vor sich hin, als sie schon in der Schlange vor dem Billigfress stand, mit dem winzigen Tablett in der Hand. Die Ohrstöpsel waren ihren Gehörgängen individuell angepasst worden und hatten deswegen fast l % gekostet. Jetzt wurden sie gerade desinfiziert, verpackt, eingeschweißt, adressiert und zu der Ladung Fundstücke getan, die an die Heimatadressen ihrer Eigentümer zurückgeschickt werden sollten. Sie hatte keine Zeit mehr, sich mit dem humanoiden Personal des Hotels auseinander zu setzen. Sie musste in einer Stunde auf dem Fremdendeck sein, um sich mit der Passage englouti zu treffen. Trotzdem fluchte sie leise, während sie in der Schlange vor dem Billigfress stand. Sie fluchte, bis ihr jemand von hinten einen Stoß gab, ihrem Gefühl nach mit einem Tablett, nicht sehr fest, aber immer noch deutlich genug, um sie wissen zu lassen, dass sie still sein sollte. Sie drehte sich nicht um. Keinen Streit jetzt. Nur keinen Streit. Sie gönnte sich nicht einmal einen Blick aus den Augenwinkeln. Der Schnellfress war riesig, und sie fand so früh am Mittag noch einen freien Tisch. Weil sie nicht über den
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