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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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wegen all den anderen Käufern, mit denen der Luftraum verstopft war, sondern auch wegen der fliegenden Händler, die ihre Läden an Seilen hinter sich herzogen, während sie selbst oder die armen Schweine, die für sie arbeiteten, wie Spinnen an den Sprossenwänden entlangkrochen, die hier eine zielgerichtete Bewegung überhaupt erst ermöglichten. Der Markt war Mittelalter. Eselkarren gab es hier nur deswegen nicht, weil Zugtiere mit der Schwerelosigkeit noch schlechter zurechtkamen als Menschen. Dort, wo die Wände nicht mit Klettersprossen bedeckt waren, hingen die Läden der Sesshaften, einer Händlerkaste, die sozial über dem fahrenden Volk angesiedelt war, das sein ganzes Gelumpe an Seilen hinter sich hertreideln musste. Die Sesshaften waren meistens besser sortiert und daher teurer.
    Latil wollte dennoch bei einem von ihnen kaufen, weil es reines Glück gewesen wäre, bei einem fliegenden Händler ein wirklich gut erhaltenes Lexikon zu finden, und sie konnte sich jetzt nicht auf ihr Glück verlassen. Nicht, wenn sie pünktlich zu ihrem Rendezvous kommen wollte. Außerdem hatte sie in einem der schwarzen Zelte gestern schon das Pulver gekauft. Also kletterte Latil mit ihrer Tasche auf dem Rücken so schnell wie möglich auf eine Traube von Läden zu, die ihr aufgrund ihrer einheitlich anthrazitschwarzen Farbgebung Vertrauen einflößten. Was ihr auf dem Weg dorthin angeboten wurde, würdigte sie keines Blickes, weil sie nichts davon gebrauchen konnte: essbare oder kuschelige Haustiere, Pivotin, Friedensblasen, Mietkörper, Falschgeld, Lügen. Mist. Gleich der erste der anthrazitschwarzen Händler hatte auch Lexika im Angebot. Als Latil in seinen zeltartigen Unterstand hineinkletterte, hing er an der Decke. Seine Arme und Beine steckten in metallischen Röhren. Er sang. Latil erkannte den neuesten Mondo-Hit der Saison. A so im tan, tan tedy. Das Innere seines schwarzen Zeltes wurde von einem gleißenden Zenonlicht so hell ausgeleuchtet, dass die in weichen Plastikwürfeln steckenden Waren fast zweidimensional wirkten. Latil war noch nicht mit allen Körperteilen in dem Zelt angekommen, als der Händler in Bewegung geriet. Was Latil für Röhren gehalten hatte, waren in Wirklichkeit Stümpfe.
    »Was suchst du?«, fragte der Händler freundlich.
    »Ein Lexikon.«
    »Ah, ein Lexikon! Bildung! Lexika habe ich einige.« Er zeigte mit einem seiner Armstümpfe auf eine Kollektion von vielleicht zehn Plastikwürfeln. Er öffnete einen der Würfel, indem er ihn mit seinem Stumpf berührte. Die Wände des Würfels wichen zurück und rollten sich ein wie bei einer Blüte, die sich öffnet. Der kleine Gegenstand, der auf dem Blütengrund ruhte, sah aus wie ein Pistolengriff.
    »Sieh her«, sagte der Händler, »ich habe hier eine Engelszunge, ganz neu, selbstanpassend, charaktermodelliert, mit allem Zubehör.«
    Er wartete auf Latils Frage. Latil blieb stumm.
    »20%, standardisiert.«
    »Ich kann 5 % ausgeben, Tagesbasis.«
    Sie hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, eine Engelszunge kaufen zu können.
    »Ah«, sagte der Händler und versuchte dabei nicht einmal wie ein mäßig überraschtes Schlitzohr zu wirken, das seine Kunden schon taxiert hat, bevor sie den Mund aufmachen. Er war nur freundlich, er nahm Latils Auskunft nur zur Kenntnis. Eine Zeit lang hielt er seine Armstümpfe überkreuz und machte allem dadurch einen erstaunlich nachdenklichen Eindruck, dann schwebte er zu einem anderen Plastikwürfel und öffnete ihn zögernd. Er nahm den Gegenstand aus dem Blütenwürfel heraus, ohne ihn mit seinem Stumpf zu berühren. Als er Latil das Gerät präsentierte, drehte es sich schwebend an der Stelle, an der früher seine rechte Hand gewesen sein musste.
    »Das ist ein Freund, ein bisschen anspruchsloser als eine Engelszunge, ohne Charaktermodell, aber dafür mit fünfundzwanzig frei programmierbaren Modi.«
    »Alle Sprachen?«, fragte Latil kühl.
    »Ja«, antwortete der Händler genauso knapp. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Er hat einen leichten Defekt.«
    »Und der wäre?«, fragte Latil, die langsam unter Zeitdruck geriet.
    »Er redet zu viel.«
    Latil griff sich den Freund aus der Luft und schaltete ihn ein. Der Händler ließ es geschehen.
    »Guten Tag«, sagte der Freund, »ich bin dein persönliches Lexikon. Wie heißt du?«
    »Sprich Taa mit mir«, forderte Latil das Lexikon auf, und es wiederholte seine Frage in der Sprache, die das Pulver ihr beigebracht hatte. Der Händler verzog keine
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