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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Verlust der Ohrstöpsel in der ihr genehmen Weise hatte fluchen dürfen, breiteten sich Wut und Selbsthass wie Qualm in ihr aus, und sie bemerkte recht wenig um sich herum, nicht die anderen Fresser, nicht die zerkratzte Oberfläche des Tisches, nicht die Arme der gierigen und süchtigen Mondos, die aus dem gigantischen Halb-3D in den Luftraum über den Tischen hinausragten. Sie merkte nicht einmal, wie sich die Fremde an ihren Tisch setzte. Erst ein umstürzendes Sandwich, das silbrige Aufleuchten der Verpackung in genau diesem Moment der Bewegung, machte sie darauf aufmerksam, dass sich jemand zu ihr gesetzt hatte. Latil hasste aufdringliche Leute und sie sparte sich die Begrüßung, genauso wie die andere. Bloß keine Nettigkeiten in diesen sparsamen Zeiten. Schwarzhaarig, schmales Gesicht, lange Finger. Irgendein modischer Modellierungsscheiß hielt ihre zickigen Locken wie gegipst am Schädel fest. Vergrößerte Augen. Als die Fremde die Verpackung der Sandwiches aufriss, rutschte ihr Ärmelbund leicht zurück, und eine Kennungstätowierung wurde sichtbar. Neoarabische Lanzetten. Oh, dachte Latil ein wenig gelangweilt, riss ihren Hemdsärmel am Adhäsionsverschluss auf und legte ihren muskulösen Unterarm wie ein Angebot zum Streit quer über den Tisch. Die Fremde stockte, packte wortlos ihre Siebensachen und setzte sich eins weiter, mit dem Rücken zu Latil. Was glaubst du eigentlich, dachte Latil und aß belustigt weiter. Ihr Ärger war fast verflogen. Sie sah sich die Mondos an, die weiterhin ihre schlanken Arme in den Raum hinausstreckten und für ein ihr unbekanntes Produkt Werbung machten. Die Arme schlängelten sich wie Wasserpflanzen.
    »Hinter dir«, kam es aus der Richtung der fremden Clansfrau, und Latil überlegte für Sekundenbruchteile, was das jetzt wieder bedeuten könnte. Sie überlegte noch, als die Synapsen in Hirn und rechtem Arm den Sinngehalt dieses Einwurfs mit dem winzigen Luftzug an ihren Füßen kombinierten. Ja, in der Tat, ein ganz leichter Luftzug in Höhe der Sprunggelenke. Was mag das wohl heißen, ›Hinter dir‹?, sinnierte der philosophisch veranlagte Teil von Latils Gehirn, während ihre um das Fresstablett gekrallte Faust einen Halbkreis beschrieb und mit einem dumpfen Geräusch auf einer Struktur auftraf, die Latil aus den Augenwinkeln als Gesicht identifizierte. Der Mann hatte kaum den Boden berührt, als Latil schon auf seiner Brust kniete. Er hielt noch eine Trageschlaufe ihrer Tasche in der rechten Hand. An seiner Schläfe klaffte eine hässliche Platzwunde. Latil brachte ihn mit zwei kräftigen Ohrfeigen zur Besinnung. Er sah sie stumm und gequält aus braunen Augen an. Sie ließ die Reste des Erfrischungsgetränks, mit dem das Tablett immer noch benetzt war, auf seine Nase tropfen.
    »Bezahlst du mir das?«
    Er zog mit einiger Mühe eine altmodische Zählbox von seinem Gürtel und presste sie an das rosafarbene Chipgehäuse, das Latil ihm hinstreckte.
    »Danke schön.«
    Sie tippte noch einmal die Platzwunde an, woraufhin der Dieb schmerzlich sein Gesicht verzog, und stand dann auf. Als sich auch der Dieb mühsam aufgerappelt hatte, stand eine Uniform vor ihnen, erkennbar dem Stationssicherheitsdienst zuzuordnen.
    »Probleme?«, fragten die Helmlautsprecher, und Latil antwortete gelassen: »Kleiner Streit unter Freunden«, wobei sie dem Dieb etwas fest die linke Wange tätschelte. Als sie damit fertig war, konnte der Dieb diensteifrig nicken, und der Sicherheitsmann nahm die Hand von seiner Waffe und zog sich zurück.
    »O ka nani«, sagte der Dieb in Latils Richtung und sprang davon, hinein in die jetzt dichter strömenden Schnellfresser, die mit ihren Tabletts wie ein Heuschreckenschwarm über die noch unbesetzten Tische herfielen. Latil setzte sich wieder. Die Tischplatte reinigte sich gerade selbsttätig von den Überresten ihres Essens. Es klingelte in ihren Ohren, als sie die Tasche wieder zwischen ihre Füße schob. Die andere Clansfrau war schon verschwunden.
     
    Sie war lange nicht ohne Schwere gewesen. Sie hatte Mühe, sich in ihrem Körper zurechtzufinden, vor allem nach den Exzessen des Morgens und ihrem jäh unterbrochenen Mittagessen, aber sie brauchte ein Lexikon, sie hatte keine Wahl. Der ›Markt‹ machte ihr nicht nur Kummer, weil er G-frei war. Er erinnerte sie auch an die Spindel und sie musste ständig ihre Augen offen halten, um nicht zu deutlich daran erinnert zu werden. Aber sorgloses Dahintreiben war hier ohnehin keine gute Idee, nicht nur
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