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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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würde nicht weggehen, bis er sein Sprüchlein losgeworden war.
    »Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte er voll gefasster Erwartung.
    »Ist das wahr?«, fragte sie zuckersüß. Es juckte sie in ihrem rechten Bein, dem Stoppelkopf in die Eier zu treten. Infogurus hatten keine Hoden.
    »Und wenn ich es nicht sehen will?«
    »Ich möchte es dir sehr gerne zeigen«, sagte er. »Ich schenke dir etwas, wenn du es anschaust.«
    Latil stellte sich vor, wie sie diesen Wicht zerfleischte. Sie stellte es sich nur vor. Infogurus kamen sofort in den Himmel, wenn sie für ihre Religion starben. Ihre Mörder kamen in allen Raumstädten des Sektors in die Hölle: Abfallrecycling auf Lebenszeit. Latil stand auf, streckte ihren rechten Arm aus und ballte ihre Faust. Die angespannten Muskeln bildeten Knoten auf ihrem Unterarm. Die blauen Blattlanzetten ihrer Tätowierung liefen wie über kleine Buckel. Latil fletschte ihre Zähne. Der Infoguru trat nicht einen Zentimeter zurück. Nur ein wenig Schweiß auf seiner Stirn. Wenigstens kannst du noch schwitzen, du Scheißkerl, dachte Latil.
    »Ich schenke dir etwas!«
    »Ach ja?«, fragte Latil und zog ihre Faust ein wenig zurück, wie zum Ausholen. Die anderen Wartenden starrten sie und den Infoguru an. Endlich passierte mal was.
    »Geld!«, rief der Guru, jetzt doch etwas beunruhigt.
    Das war neu. Normalerweise verschenkten die Infogurus nichts. Latil setzte sich und zog dabei den Infoguru zu sich herunter wie eine Puppe. Sie knallte ihn auf den Sitz neben sich und fragte: »Wie viel?«
    »0,005%.«
    »TB oder standardisiert?«, fragte sie fiebrig. Das hier war ein Fremdendeck, also exterritorial, also steuerfrei.
    »Standardisiert.«
    »Erst das Geld«, sagte sie und fischte ihren Chip heraus. Irgendjemand hinter ihr lachte. Der Infoguru presste ihn sich an die Brust, Latil überprüfte die Anzeige. »Mach schnell«, sagte sie.
    »Nur zehn Sekunden«, sagte der Infoguru, zog einen seiner Ringe ab, streifte ihn über Latils rechten Ringfinger und drückte seinen rechten Daumen an ihre Stirn. »Sieh her.«
    Latils Schädel fühlte sich von einem Moment auf den anderen an, als würde er platzen. Ein Orkan aus verbrannten Städten und niedergemetzelten Menschen wirbelte in ihrem Kopf herum. Naturkatastrophen. Morde. Einstürzende Gebäude. Verbrennende Schiffe in der Atmosphäre von Planeten, deren Namen sie nicht kannte. Auslaufender Treibstoff. Verrottende Reaktoren. Dammbrüche. Tränen. Lager. Lügen. Leichen. Latil sah zehn Sekunden lang Nachrichten aus hundert Planetensystemen. Es waren ausschließlich schlechte Nachrichten. Von den Antennen des Infogurus über seinen Daumen und den schwarzen Ring an ihrem Finger direkt in ihr Gehirn. Das war im Grunde schon die ganze Religion der Infogurus: pausenlos mit dem Elend aller Welten in Kontakt zu sein. Ihr Glaube lief darauf hinaus, dass das Elend von selbst verschwinden würde, wenn alle fühlenden Wesen es nur jederzeit wahrnähmen. ›Sieh her‹ war im Grunde ihr einziges Gebet.
    »Danke«, sagte der Infoguru, und endlich war es vorbei.
    »Passage englouti«, sagte der Lautsprecher an der Decke. Taumelnd bewegte sie sich auf die Kabine des Hafenmeisters zu. Ihre Tasche kam ihr zu schwer vor. Bevor die Tür zum Büro des Hafenmeisters zuglitt, konnte sie gerade noch hören, wie der Infoguru zu jemand anderem sagte: »Ich möchte dir etwas schenken.«
     
    Der Hafenmeister saß hinter einem Leuchttisch, auf dem die Raumstadt dargestellt war. »Wo bleiben Sie denn?«, sagte er in einem Tonfall gelangweilten Tadels. »Ihr Schiff ist schon sehr ungeduldig.« Latil setzte sich wortlos, legte ihren Unterarm auf den Tisch und ließ sich registrieren. Die flackernden Nachbilder von den Katastrophen des Infogurus spukten noch in ihrem Schädel herum. Kämpf nicht mit ihm, dachte sie, er ist nur ein Insekt. Nur Reflexe, kein wirkliches ZNS. Er sah nicht sie, sondern den Leuchttisch an, die ständig wechselnden Diagramme, Gittermodelle und Kameraeinstellungen.
    »Ich habe mich mit dem Schiff über Sie unterhalten. Sie sind von Ihrem Clan heruntergestuft worden. Das zweite Mal innerhalb eines Jahres. Einmal wegen Ihrer ständigen Misserfolge, das andere Mal wegen ›Selbstverletzung‹, was immer das heißen mag.«
    Er ist es nicht wert, sagte sie sich. Sie meditierte über dieser Idee. Er will dich nur provozieren. Lass das nicht zu.
    »Ich bin hier der Hafenmeister. Es gehört zu meinen Pflichten, die charakterliche Eignung der Piloten zu
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