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Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg
Autoren: Gerhard Branstner
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angesammelt hatten, und warf sie von einer Hand in die andere, bis ihm das letzte Steinchen entfallen war. Er wischte die Hände am Gras ab und blickte den Astrometer lächelnd an. »Sie haben viele Fragen, aber sie haben sich so ineinander verhakt, daß Sie sie nicht zu stellen wissen. Ich will Ihnen helfen«, fuhr er in einem Tone fort, der von einer eigenartigen Ironie getragen war, »ich will Ihnen helfen, Ihre Fragen zu beantworten. Ich werde Ihnen meine Geschichte erzählen, und das ist zugleich die Geschichte der Stadt der Letzten, der Stadt, von deren Existenz nicht viel mehr Menschen wissen, als sie Bewohner hat. Selbst zur Zeit ihrer Gründung wurden diejenigen, die von ihr berichteten, für Spaßvögel gehalten, und diese Stadt war tatsächlich ein Scherz, wenn auch nicht für ihre Bewohner. Sie war ein grotesker Streich der Geschichte, den sie denjenigen versetzte, die sich an ihr versündigt hatten.«
    Die beiden saßen im Gras, den Rücken zur Straße, die Beine nach dem Straßengraben hingestreckt. Während sich der Mann aus der Stadt der Letzten halb liegend auf die Ellenbogen gestützt hatte, saß der Astrometer noch provisorisch mit steifem Rücken, die Arme nach hinten ins Gras stemmend, wobei er die Gelenke fest durchdrückte. An beiden Straßenrändern zogen sich lange Reihen von Pflaumenbäumen hin. Roland Ell wurde sich seiner selber immer ungewisser. Die ganze Gegend hier wirkte auf eine Weise unwahr, daß er schlucken mußte. Und dieser Mann neben ihm sah aus wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Er hatte unbedingt etwas Vergilbtes an sich. Roland kam sich vor wie im Traum. Er war versucht, sich in den Schenkel zu kneifen, wenn er nicht hätte befürchten müssen, daß seine Maßnahme von dem anderen bemerkt würde. Der Gedanke, daß diese Befürchtung ja voraussetzte, daß der andere keine Traumerscheinung war, verwirrte ihn vollends.
    »Ich weiß«, nahm der Vergilbte wieder das Wort, »daß Sie starke Bedenken betreffs der Realität dessen haben, was Sie im Augenblick erleben.«
    »Wer sind Sie eigentlich, daß Sie es sich erlauben, mir fortwährend meine Gedanken zu stehlen«, fuhr der Astrometer auf. »Wenn Sie die Frage gestatten«, fügte er, sich wegen seines Tones entschuldigend, hinzu.
    »Ich hatte Ihnen die Antwort schon angeboten. Ich wollte Ihnen meine Geschichte erzählen.«
    »Und ich werde mir Ihre Geschichte nicht anhören, sondern gehe jetzt zur Stadt der Letzten.«
    »Sie werden nicht hingehen, sondern sich meine Geschichte anhören. Ich sage dies in dem Bewußtsein, dadurch Ihren Widerstand gegen das Anhören meiner Geschichte nur noch zu verstärken. Aber Sie sind schon zu sehr vom Geheimnis meiner Existenz gefangen, als daß Sie ruhig weiterleben könnten, ohne es völlig entdeckt zu sehen. Ich werde den Rest meiner Tage damit zubringen, jedem, der es will, und jeder will es, mein Geheimnis zu erzählen. Ich werde der Wanderprediger des Geheimnisses meines Lebens sein. Und Sie sind der erste. Mit Ihnen mache ich den Anfang. Machen Sie es sich gemütlich. Sie sitzen zu steif. Die Beine werden Ihnen einschlafen, und Sie könnten sich wieder ins Fleisch kneifen wollen.«
    Roland wollte auffahren. Er besann sich jedoch, stand gemessen auf und verbeugte sich. »Gestatten Sie, mein Name ist Roland Ell.«
    Der Vergilbte nickte freundlich, ohne ansonsten dergleichen zu tun. Als er die Verwunderung des Astrometers bemerkte, sagte er nur: »Meinen Namen werden Sie nicht erfahren. Der Name ist nichtssagend. Übrigens ist er gerade deshalb bei Frauen von Bedeutung. Seine absolute Neutralität ist der parteiischsten Einbildung ausgeliefert und daher der ideale Kristallisationspunkt für die männliche Phantasie.«
    »Wenn Sie weiterhin solche weitläufigen Erläuterungen, deren Richtigkeit man noch dazu in Zweifel ziehen kann, von sich geben«, sagte der Student, der sich inzwischen wieder gesetzt hatte, »werden Sie wohl kaum zum Anfang Ihrer Geschichte, geschweige denn zu deren Ende kommen.«
    »Entschuldigen Sie«, erhielt er zur Antwort. »Wenn man alles nur bei passender Gelegenheit sagt, bleibt vieles ungesagt. Deshalb richte ich mich nicht nach der Gelegenheit. Meine Rede scheint daher etwas verworren. Sie ist es aber keineswegs, da ich mir der Methode meines Denkens völlig bewußt bin. Im übrigen wollte ich Ihnen eine Möglichkeit der Kritik geben. Das macht mich Ihnen vertrauter und hebt das Selbstbewußtsein.«
    »Ich bleibe dabei, daß es Ihren Gedanken an
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