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Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg
Autoren: Gerhard Branstner
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ankamen?«
    »Ihre Frage trifft die entscheidende Stelle. Eben die Bedingungen, unter denen die Menschen hier lebten, sind das Exempel, das die Geschichte statuierte. Die Stadt der Letzten sollte experimentell die Klassengesellschaft ad absurdum führen, nachdem sie de facto schon liquidiert war.«
    »Die Stadt der Letzten ist sozusagen«, schaltete sich der Astrometer ein, »der experimentelle Beweis, der dem geschichtlichen Beweis nachgereicht wurde.«
    »Ganz recht. Und an dieser Stelle«, unterbrach sich der Vergilbte, »würde ich Ihrerseits die Frage einschieben, inwiefern die Stadt der Letzten diesen Beweis erbringen konnte.«
    »Ich danke Ihnen für Ihre Aufforderung«, entgegnete der Astrometer, der es sich inzwischen recht bequem gemacht, indem er sich auf den Blicken gelegt und die Arme unter dem Kopf verschränkt hatte, »möchte aber im Augenblick keine Frage stellen außer der, wieso dieses nachgereichte Experiment das aufschlußreichste Kapitel der Geschichte ist.«
    »Was auf das gleiche hinausläuft. Nebenbei, Ihre Lage ist mir etwas zu bequem, mein Lieber. Wenn der Körper vor sich hin döst, kann der Geist nicht wach sein. – Ich fahre in meinem Bericht fort. Wenn Sie gut aufpassen, werden Sie Stück für Stück eine Antwort auf Ihre Frage erhalten. Da hatten wir den Kardinal Emm, einen gottesfürchtigen Mann.«



 
     
     
     

»Entschuldigen Sie, wenn ich eine Frage stelle, ohne dazu aufgefordert zu sein.«
    »O bitte, tun Sie Ihrer Neugier keine Gewalt an. Ein bestimmtes Maß an Neugier ist immer zu begrüßen, allzuviel dagegen stört die Aufmerksamkeit.«
    »Nach welchen Gesichtspunkten wurden die Bewohner dieses Planeten ausgewählt?«
    »Es sind durchweg Menschen, die durch einen Mangel an historischem Verstande der Geschichte im Wege standen. Die Schlimmsten unter ihnen, wie Kriegstreiber, Kolonialisten und Klerikalfaschisten, ich betone das ausdrücklich, wurden in Gewahrsam genommen und bestraft. Die weniger Schlimmen hat man auf diesen Planeten transportiert. Man kann sagen, daß mit ihnen die Komiker der Geschichte erwischt wurden, wie Sie bald sehen werden.«
    »Sind diese Menschen vielleicht deshalb ein negativer Beweis hinsichtlich der Klassengesellschaft, weil sie, wie Sie sagen, Komiker der Geschichte sind?«
    »Ganz recht. Allerdings nur unter der hier vorliegenden Bedingung, daß sie völlig auf sich selbst gestellt sind.«
    »Danke, erzählen Sie nun die Geschichte des Kardinals Emm.«
    »Der Kardinal Emm war ein gottesfürchtiger Mann.«
    »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich muß Sie schon wieder unterbrechen. Warum betonen Sie den Umstand, daß dieser Kardinal gottesfürchtig war?«
    »Sehen Sie, mein Lieber, zur Zeit des Kardinals Emm war die Religion, vom Dorfpfarrer aufwärts, zum Beruf geworden. Daher konnte auch ein Atheist ein guter Katholik sein, wenn er nur seine beruflichen Pflichten gewissenhaft erfüllte. Ja, mit den gestiegenen Anforderungen des Kapitalismus an die Kirche wurde es geradezu unumgänglich, vorzüglich die höheren Ämter soweit wie möglich mit religiös gänzlich Unbefangenen zu besetzen. Dabei darf man natürlich nicht außer acht lassen, daß der ›christliche Atheismus‹ vom philosophischen Atheismus durchaus unterschieden ist.«
    »Wenn sich die Dinge so verhalten, geht Ihre Hervorhebung der gottesfürchtigen Eigenart des Kardinals Emm durchaus in Ordnung.«
    »Bleibt nur noch hinzuzufügen, daß die gottlosen Kardinäle zu den Schlimmeren zählten, weswegen wir mit einem solchen nicht dienen können. – Da nun auch der Kardinal Emm den Lapsus nicht aus der Welt schaffen konnte, daß Gott lediglich in den Köpfen seiner Gläubigen existierte, geriet der Gottbegriff des Kardinals in dem Augenblick völlig durcheinander, als der gute Mann in Verhältnisse kam, auf die sein Kopf nicht im mindesten eingerichtet war. Die erste schwere Not, in die unser Kardinal geriet, war die Relativität des Himmels. Durch die Transplantation auf den neuen Planeten vollkommen ins unklare gekommen darüber, ob sich sein neuer Standort nun diesseits oder jenseits, unterhalb oder oberhalb des Himmels befinde, konnte er nicht ins reine kommen, wohin er die zum Gebet gefalteten Hände und den gottesfürchtigen Blick richten sollte. Er erheischte ein Zeichen Gottes, verkehrte die Augen in der greulichsten Weise und fiel in konvulsivische Zuckungen, so daß an seinem Wiederaufkommen gezweifelt werden mußte. Als er, durch eine tiefe Ermattung geheilt, aufs
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