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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch
Autoren: Volker Kutscher
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ein unbeschriebenes Blatt, polizeilich gesehen. Er fertigte preiswerte Passfotos für die wenig zahlungskräftige
     Neuköllner Kundschaft an, ab und an auch die obligatorischen Familienfotos: Säuglinge auf Eisbärenfell, Kinder mit Schultüten,
     Hochzeitspaare und was die Kundschaft sonst sowünschte. Als Schmutzfink war er noch nicht in Erscheinung getreten. Keine Vorstrafen. Aber einen Eintrag gab es doch. Einen
     politischen. Man musste nicht straffällig werden, um der Polizei aufzufallen. Rath hatte die Idee gehabt, auch die umfangreiche
     Kartei der Abteilung IA, der Politischen Polizei, zu durchforsten, und war auf eine Notiz gestoßen, die dort seit zehn Jahren
     schlummerte: 1919 hatten die Politischen Johann König als Anarchisten registriert und ihm eine eigene, wenn auch nur spärlich
     beschriftete Karteikarte gewidmet. Nach den Revolutionszeiten war der Fotograf politisch nicht mehr aufgefallen, er hatte
     sich wieder ins Private zurückgezogen, wie so viele. Aber jetzt hatte ihn seine offensichtliche Abneigung gegen Preußens Glanz
     und Gloria doch noch in Schwierigkeiten mit dem Gesetz gebracht. Kein Wunder, dachte Rath, mit so einem Nachnamen gegen die
     Monarchie zu sein, das kann einfach nicht gut gehen.
    Einem jungen Bereitschaftspolizisten schienen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen.
    »Der Kaiser bumst beim König«, witzelte er und schaute nervös grinsend in die Runde.
    Niemand lachte. Wolter postierte den Witzbold vor dem Eingang zum Hinterhaus, mit dem Rest der Truppe stiegen sie so leise
     wie möglich das schummrige Treppenhaus empor, in das nur wenig Tageslicht fiel. Irgendwo im Haus dudelte ein Radio Schlagermusik.
     Im zweiten Stock öffnete sich eine Tür, ein grauhaariges Mütterchen streckte ihre Nase ins Treppenhaus und zog sie ganz schnell
     wieder zurück, als sie das Polizeiaufgebot sah. Zwei Frauen und zwölf Männer, die kaum einen Laut machten. Ganz oben, vor
     der letzten Tür, blieben sie stehen. Johann König, Photograph stand dort angeschlagen, diesmal allerdings nicht in Messing graviert, sondern auf ein vergilbtes Pappschild gedruckt, das
     sich bereits wellte. Wolter sagte nichts, sah nur kurz den Bereitschaftsführer an und führte den erhobenen rechten Zeigefinger
     an die Lippen. Nur das Radio war noch zu hören und von der Straße her ein weit entferntes Autohupen. Ein kräftiger Tritt hätte
     gereicht, um die klapprige Tür in den Raum fliegen zu lassen, doch Wolter schobden Bereitschaftsführer beiseite. Rath sah, wie der Onkel einen Dietrich aus der Manteltasche zog und sich am Schloss zu schaffen
     machte. Er brauchte keine fünf Sekunden, um es zu öffnen. Bevor er die Tür aufstieß, zog Wolter seine Dienstwaffe. Die anderen
     taten es ihm gleich. Nur Rath ließ seine Mauser stecken. Nach dem Zwischenfall in Köln hatte er sich geschworen, keine Waffe
     mehr anzurühren, wenn es irgendwie zu vermeiden war. Er ließ den bewaffneten Kollegen den Vortritt und blieb draußen an der
     Tür stehen. Von dort beobachtete er die absurde Szene, die sich im Atelier abspielte, kaum hatten die Polizisten den großen
     Raum betreten.
    Auf einem grünen Kanapee mühte sich gerade ein muskulöser Hindenburg auf einer Nackten ab, die entfernt an Mata Hari erinnerte.
     Daneben stand ein einfacher uniformierter Landser mit Pickelhaube. Ob er sich als Nächster mit Mata Hari vergnügen durfte
     oder seinem Generalfeldmarschall noch sexuell zu Diensten sein musste, war nicht ersichtlich. Die übrigen Darsteller, die
     Hälfte davon nackt, betrachteten die mit mehreren Scheinwerfern ausgeleuchtete Szene und unterhielten sich angeregt. Ein Mann
     mit Ziegenbart hockte hinter einem Fotoapparat und gab dem Generalfeldmarschall Befehle.
    »Dreh Sophies Hintern ein bisschen mehr zu mir … Noch etwas … Ja, so geht’s. Stillhalten, uuund – jawoll!«
    Und wieder hatte er eine Aufnahme im Kasten. Wunderbar. Alles Beweismaterial. Niemand in der illustren Runde hatte bemerkt,
     dass gut ein Dutzend Polizisten mit gezogenen Pistolen das Atelier betreten hatte. Die jungen Bereitschaftspolizisten verrenkten
     sich die Hälse, um genug sehen zu können, und schoben weiter in den Raum. Es schepperte, als ein Scheinwerfer in dem Gedränge
     zu Boden ging.
    Die Gespräche verstummten. Alle Gesichter drehten sich zur Tür, die Mienen gefroren im selben Moment. Nur Hindenburg und Mata
     Hari ließen sich nicht aus dem Rhythmus bringen.
    »Aushebung! Polizei!«, rief Wolter in den
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