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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch
Autoren: Volker Kutscher
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Aufnahmen zeigten den kaiserlichen
     Doppelgänger und seine Gespielin bereits in Aktion. Ganz gleich, wie sich ihre Körper verknoteten, der markante Schnurrbart
     war immer im Bild.
    »Schweinkram!«
    Rath blickte sich um. Ein Schupo hatte ihm über die Schulter geschaut.
    »So ein Schweinkram«, fuhr der Blaue kopfschüttelnd fort, »das ist Majestätsbeleidigung, dafür hat es früher Zuchthaus gegeben.«
    »Aber so beleidigt sieht unser Kaiser doch gar nicht aus«, meinte Rath. Er klappte die Mappe mit den Fotos zu und schob sie
     zurück auf den wackligen Schreibtisch, den sie ihm zur Verfügung gestellt hatten. Böser Blick unter dem Tschako. Der Mann
     in der blauenUniform drehte wortlos ab und ging zu seinen Kollegen. Acht Uniformierte standen in dem Raum und unterhielten sich halblaut,
     die meisten wärmten ihre Hände an einer Kaffeetasse.
    Rath schaute zu ihnen hinüber. Er wusste, dass die Schupos im 220. Revier gerade andere Sorgen hatten, als einem Kriminalbeamten
     vom Alex freundlichst Unterstützung zu gewähren. In drei Tagen wurde es ernst. Mittwoch war der erste Mai, und Polizeipräsident
     Zörgiebel hatte alle Maidemonstrationen in Berlin untersagt, die Kommunisten aber wollten trotz des Verbots marschieren. Die
     Polizei war nervös. Gerüchte über einen geplanten Putsch machten die Runde: Die Bolschewisten wollten Revolution spielen,
     Sowjetdeutschland mit zehn Jahren Verspätung doch noch errichten. Und im 220. Revier war die Polizei nervöser als in den meisten
     anderen Berliner Bezirken. Neukölln war ein Arbeiterviertel. Noch roter war höchstens der Wedding.
    Die Schupos tuschelten. Ab und an warf ein Blauer dem Kriminalkommissar einen verstohlenen Blick zu. Rath klopfte eine Overstolz
     aus der Schachtel und zündete sie an. Dass er hier ungefähr so willkommen war wie die Heilsarmee in einem Nachtclub, das brauchte
     ihm niemand zu sagen, das war offensichtlich. Das Sittendezernat genoss in Polizeikreisen keinen allzu guten Ruf. Bis vor
     zwei Jahren noch war es vorrangige Aufgabe der Inspektion E gewesen, die Prostitution in der Stadt zu überwachen. Eine Art
     verbeamtete Zuhälterei also, denn nur polizeilich registrierte Prostituierte betrieben ihr Gewerbe legal. Viele Beamte hatten
     diese Abhängigkeit schamlos ausgenutzt. Bis ein neues Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten diese Aufgaben von
     der Sittenpolizei auf die Gesundheitsämter verlagert hatte. Seitdem kümmerte sich die Inspektion E um illegale Nachtclubs,
     Zuhälter und Pornographie, ihr Ruf allerdings hatte sich kaum gebessert. Immer noch schien etwas von dem Schmutz, mit dem
     sich die Beamten beruflich zu beschäftigen hatten, an ihnen hängen zu bleiben.
    Rath blies Zigarettenrauch über den Schreibtisch. Von den Tschakos an den Garderobenhaken tropfte Regenwasser auf den Linoleumboden,
     grünes Linoleum, wie es auch in den Büros derKriminalpolizei am Alexanderplatz verlegt war. Sein grauer Hut wirkte zwischen all dem schwarzen Lack und den glitzernden
     Polizeisternen wie ein Fremdkörper, ebenso sein Mantel, der mitten im Blau der Schupomäntel hing. Ein Zivilist unter lauter
     Uniformierten.
    Der Kaffee in der verbeulten Emailtasse, den sie ihm hingestellt hatten, schmeckte scheußlich. Widerliche schwarze Brühe.
     Auch im 220. Revier konnte die Polizei also keinen Kaffee kochen. Warum sollte das in Neukölln anders sein als am Alex? Dennoch
     nahm er einen weiteren Schluck. Etwas anderes hatte er nicht zu tun. Nur deswegen saß er hier: um zu warten. Warten auf ein
     Telefonklingeln.
    Er griff noch einmal zu der Mappe auf dem Schreibtisch. Die Blätter, auf denen Doppelgänger der Hohenzollern und anderer preußischer
     Prominenz in eindeutigen Positionen abgelichtet waren, gehörten nicht zu der üblichen Billigware. Kein Druck, sondern hochwertige
     Fotoabzüge in bester Qualität, wohlgeordnet in einer Mappe. Wer so etwas kaufte, musste schon ein paar Mark hinlegen, das
     war etwas für die besseren Kreise. Am Bahnhof Alexanderplatz hatte ein fliegender Zeitschriftenhändler die Blätter vertrieben,
     nur wenige Schritte vom Polizeipräsidium und den Büros der Inspektion E entfernt. Der Mann war der Streife nur deshalb aufgefallen,
     weil er die Nerven verloren hatte. Die beiden Schupos hatten den Händler auf eine harmlose Illustrierte aufmerksam machen
     wollen, die ihm aus dem Bauchladen gefallen war, doch als sie sich näherten, hatte er ihnen sein komplettes Sortiment
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