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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt
Autoren: Denis Johnson
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näher kommende Scheinwerferlicht blendete mich wie ein Blitz in einem kahlen Raum.
    Ich schleuderte die Flasche mit aller Kraft, nahm von ganz unten Schwung. Ich legte so viel Energie hinein, dass ich das Ziehen in den Sehnen meiner Beine spürte, hinter den Knien. Selbst über den Motorenlärm hinweg hörte ich einen scharfen Knall und splitterndes Glas.
    Kurz bevor er mich zerquetscht hätte, sprang der Wagen zur Seite, hüpfte auf den grasbewachsenen Straßenrand, schlitterte darüber und blieb ungefähr zwanzig Meter weiter stehen. Ein schwarzer Riesenstern mit atomarem Potenzial, dunkel und drohend. Er dröhnte und schnaufte. Ein paar Sekunden lang tat er nichts als das. Dann barst er plötzlich auseinander, alle vier Türen zugleich, und zerfiel in seine Bestandteile wie ein Eiersack.
    Sie kamen auf mich zu, mehrere Jungs, wie viele, konnte ich nicht einschätzen, aber angesichts ihrer ungestümen Kraft und Lebendigkeit fühlte ich mich anschwellen wie ein Ballon, zum Platzen gefüllt mit sprühendem Zorn. Wie hatte ich mich als Lehrer danach gesehnt: auf so eine Bande Schüler loszugehen, so viele wie möglich zu fassen zu kriegen und kratzend, tretend und beißend in den Staub zu sinken! Ich zielte auf ihre Augen und Münder, bekam einen Ellbogen ins Auge, ein Knie in die Nieren. Mindestens einem von ihnen wollte ich an die Kehle.
    «Was ist los mit diesem Typen?»
    «Was ist los mit dir!»
    «Der spinnt! Der hat sie ja nicht alle!»
    «Du tickst wohl nicht sauber! Bist wohl manisch-depressiv oder was!»
    «DU DURCHGEKNALLTES ARSCHLOCH.»
    Im Nu hatten sie mich gegen den Wagen gedrückt, ein paar keuchende Jungs an jedem ausgestreckten Arm, während einer, auf dem Bauch liegend, meine Beine umklammerte.
    «FÜNF GEGEN EINEN!», rief ich.
    «Das wird teuer für Sie! Das wird echt teuer für Sie! Und wehe, Sie zahlen nicht! Der Wagen gehört meinem Vater.»
    «Ich nehm es gegen jeden Einzelnen von euch auf», sagte ich. Und ich fürchte, ich war durchgeknallt, denn ich meinte das ernst. Als Hände meine Taschen filzten, begann ich mich erneut zu wehren.
    «Mann! Halten Sie doch still! Ich – ich raube Sie nicht aus! Ich will nur Ihre Papiere.»
    Einer der Jungs – der, dessen Vater der Wagen gehörte – hatte mich losgelassen und hielt sich mit beiden Händen den Kopf Er marschierte auf und ab. «Wir könnten ja sagen, es war ein kleiner Unfall! Als ob Sie, als ob Sie – ach, keine Ahnung!» Er ließ den Kopflos. «Sind Sie versichert? Ich will schwer hoffen, dass Sie versichert sind. Wir schreiben uns einfach Ihren Namen und die Nummer von Ihrem Führerschein auf – wo ist sein Führerschein?»
    «Er hat keine Brieftasche dabei. Haben Sie etwa keine?»
    «Zu Hause.»
    «Sie haben einen Stein auf meinen Wagen geworfen!», sagte der Fahrer. «Wie alt sind Sie eigentlich?»
    Gute Frage. Ich begann mich miserabel zu fühlen. Trotzdem überlegte ich noch immer, ob ich dem Burschen nicht in die Fresse hauen sollte. «Ich wohne nur eine Straße weiter, Jungs», sagte ich. «Kommt mit, und ich geb euch meine Personalien.» Dabei fiel mir auf, dass ich zwei Tage lang ohne gültigen Führerschein unterwegs gewesen war. Er war seit Jahren abgelaufen und der Ausstellungsort einen halben Kontinent entfernt.
    «In den Wagen meines Vaters lass ich Sie aber nicht!»
    «Da würde ich sowieso nicht einsteigen», sagte ich. «Ich gehe zu Fuß.»
    «Glauben Sie ja nicht, Sie könnten abhauen! Ich bleib Ihnen dicht auf den Fersen! Ist mir egal, wenn Sie – wenn Sie –» Er wusste nicht, was.
    Sie folgten mir ganz langsam im Wagen, hörbar in eine Diskussion über mich vertieft. Sie schienen einmütig zu dem Schluss zu kommen, dass ich schizophren sei.
    «Hier wohnen Sie?», sagte der Fahrer, als er von draußen in mein Haus sah.
    «Du hast so einen ständig alarmierten Ton drauf», sagte ich zu ihm. «Kannst du den vielleicht mal abschalten?»
    «Das ist ja ganz kahl hier! Alles in Kartons verstaut! Wann ziehen Sie hier weg?»
    «Ich ziehe nirgendwohin. Ich besitze noch nicht mal ein Auto» – eine korrekte, aber irreführende Aussage, die ich allzu gern machte. Die Wahrheit war, dass ich seinen Verdacht, ich könnte in der Nacht einfach stiften gehen, mehr und mehr teilte.
    Ich glaube, ich hatte neun Kartons, einen Koffer und einen Plan, wie ich sie alle ins Auto kriegen könnte, zumindest die Hoffnung, dass es ging. Am liebsten hätte ich die meisten bei einer Spedition aufgegeben, wenn ich nur ein Ziel hätte nennen
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