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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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Klischees und Stereotypen des kommerziellen Kinos.
    Wobei ich hervorhob, daß die Stellen, an denen das Publikum sichtlich am meisten Vergnügen gehabt hatte, immer genau die Stellen waren, an denen es wenige Jahre zuvor noch Empörung gezeigt hätte, nämlich jedesmal dann, wenn die logischen und die zeitlichen Folgen des traditionellen Handlungsablaufs übersprungen und die Erwartungen der Zuschauer heftig frustriert wurden. Die Avantgarde war im Begriff, Tradition zu werden; was ein paar Jahre zuvor noch dissonant geklungen hatte, wurde zum Ohrenschmaus (oder zur Augenweide). Daraus gab es, folgerte ich, nur einen Schluß zu ziehen: Die »Inakzeptabilität der Botschaft« sei nicht mehr länger das Hauptkriterium für experimentelles Erzählen (oder für jede beliebige andere experimentelle Kunst), da nun das Inakzeptable als vergnüglich kodifiziert worden war. Was sich abzeichne, sei ein versöhntes Zurück zu neuen Formen von Akzeptablem und Vergnüglichem. Wenn es zu Zeiten von Marinetti und seinen futuristischen Abenden noch unverzichtbar war, daß die Zuhörer vor Empörung aufheulten, sei es heute, sagte ich, »unproduktive und dumme Polemik, wenn jemand ein Experiment für gescheitert erklärt, weil es als normal akzeptiert worden ist«; dergleichen sei »stures Festhalten an den Wertmustern der historischen Avantgarde, und in diesem Moment ist der eventuelle Avantgardekritiker bloß noch ein verspäteter Marinettianer. Bedenken wir, daß die Inakzeptabilität der Botschaft für den Empfänger nur in einem ganz bestimmten historischen Augenblick eine Wertgarantie war
    . . . Ich fürchte, wir müssen allmählich auf jenen Hintergedanken verzichten, der immer noch unsere Debatten beherrscht, daß nämlich der äußere Skandal ein Prüfstein für den Wert einer Arbeit sei. Vielleicht muß sogar die fundamentale Dichotomie zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen
    konsumorientiertem und provokatorischem Werk in einer anderen Perspektive neubestimmt werden, ohne daß sie damit an Gültigkeit zu verlieren braucht: Ich glaube nämlich, daß es möglich sein wird, Elemente von Bruch und Infragestellung auch in Werken zu finden, die sich scheinbar zu leichtem Konsum anbieten, und demgegenüber festzustellen, daß manche provokatorisch erscheinenden Werke, die das Publikum immer noch von den Sitzen reißen, in Wahrheit gar nichts in Frage stellen . . . Ich stoße noch immer auf Leute, die 343
    Nachschrift zum »Namen der Rose«
    den Wert eines Werkes bezweifeln, weil es ihnen zu gut gefallen hat . . .« Und so weiter.
    Das war, wie gesagt, 1965. Die Zeit, als die Pop Art aufkam und damit die traditionellen
    Unterscheidungen zwischen experimenteller Kunst (als nicht-figurativer) und Massenkunst (als narrativer und figurativer) hinfällig wurden. Die Zeit, als man über die Beatles sprach und Pousseur mir sagte: »Sie arbeiten für uns« – ohne sich allerdings klarzumachen, daß er auch für sie arbeitete (und es mußte erst eine Cathy Berberian kommen, um uns zu zeigen, daß die Beatles, richtig zurückgeführt auf ihren Stammvater Henry Purcell, im Konzertsaal neben Monteverdi und Erik Satie aufgeführt werden konnten).
    Postmodernismus, Ironie und Vergnügen
    In der Zeit von 1965 bis heute ließen sich zwei Gedanken endgültig klären. Erstens, daß man die Handlung auch in Gestalt von Zitaten anderer Handlungen wiederentdecken konnte, und zweitens, daß ein Zitat dann womöglich weniger brav und versöhnlerisch sein würde als die zitierte Handlung selbst (es war 1972, als ich bei Bompiani ein Sammelbändchen herausgab, das unter dem programmatischen Titel Ritorno dell'intreccio eben die »Wiederkehr der Intrige« beschwor, wenn auch vorerst nur durch ironische, aber zugleich bewundernde Rückbesinnungen auf Autoren wie Ponson du Terrail und Eugène Sue – sowie durch kaum ironisch verbrämte Bewunderung einiger großer Seiten von Dumas Père). Gab es damit die Möglichkeit zu einem neuen, nicht versöhnlerischen, hinreichend problemhaltigen und dabei amüsanten Roman?
    Diese Kombination, verbunden mit der Wiederentdeckung nicht nur der Handlung, sondern auch des Vergnügens, mußte erst noch von den amerikanischen Theoretikern des Postmodernismus besorgt werden.
    Unglücklicherweise ist »postmodern« heute ein Passepartoutbegriff, mit dem man fast alles machen kann. Ich habe den Eindruck, daß ihn inzwischen jeder auf das anwendet, was ihm gerade gefällt. Außerdem gibt es, wie mir scheint, eine Tendenz, ihn
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