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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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gefällt den Leuten, es gefällt einfach allen, Gebildeten wie Ungebildeten, Großen wie Kleinen, Frömmlern wie
    * im Original deutsch (A. d. Ü.)
    340
    Nachschrift zum »Namen der Rose«
    Pfaffenfressern! Warum? Weil Manzoni intuitiv erfaßt hatte, daß genau dies es war, was die Leser seiner Zeit brauchten, auch wenn sie's nicht wußten, auch wenn sie nicht danach verlangten, auch wenn sie nicht glaubten, daß es verdaulich sei. Anpassung? Haschen nach Publikumsgunst? Leicht gemacht? Ach je . . .
    Gearbeitet hat er, und wie! Mit Feile, Säge und Hammer, und mit dem Poliertuch, um sein Produkt genießbar zu machen. Um die empirisch vorhandenen Leser zu zwingen, sich in den Idealleser zu verwandeln, der ihm vorgeschwebt hatte.
    Manzoni schrieb nicht, um dem vorgegebenen Publikum zu gefallen, sondern um ein Publikum zu erschaffen, dem sein Roman ganz einfach gefallen mußte . Und wehe, er hätte nicht gefallen, man sehe nur, mit welcher Scheinheiligkeit und Seelenruhe er von seinen »fünfundzwanzig Lesern« spricht.
    Fünfundzwanzig Millionen, das wollte er.
    Was für einen Idealleser wünschte ich mir, als ich schrieb? Einen Komplizen, gewiß, der mein Spiel mitmachte. Ich wollte ganz und gar mittelalterlich werden und im Mittelalter leben, als wäre es meine Zeit (und umgekehrt). Aber gleichzeitig wollte ich auch mit allen Kräften, daß ein Leser Gestalt annähme, der nach überstandener Initiation meine Beute würde, beziehungsweise die Beute des Textes, und dann nichts anderes mehr zu verlangen glaubte als das, was der Text ihm bot. Ein Text will für seinen Leser zu einem Erlebnis der Selbstveränderung werden. Du glaubst, du willst Sex und Crime und viel Action, eine spannende Krimistory, bei der am Ende herauskommt, wer der Schuldige ist, aber du würdest dich schämen, einen ehrwürdigen Schauerschinken mit schwarzen Händen des Todes und finsteren Ränkeschmieden im Klostergemäuer zu akzeptieren. Na schön, ich gebe dir einen Haufen Latein und wenig Frauen und Theologie in Hülle und Fülle und Blut in Strömen wie weiland im Grand Guignol, bis du protestierst: »Nein, alles falsch, da mach ich nicht mit!« Und an diesem Punkt mußt du soweit sein, daß ich dich habe, daß du den Schauder der unendlichen Allmacht Gottes verspürst, die jede Ordnung der Welt zunichte macht. Und wenn du dann gut bist, erkennst du sogar, wie ich dich in die Falle gelockt habe, schließlich hatte ich's dir bei jedem Schritt deutlich gesagt, ich hatte dich unüberhörbar gewarnt, daß ich dabei war, dich ins Verderben zu ziehen! Aber das Schöne an Teufelspakten ist ja gerade, daß man sie klarsichtig unterschreibt, wissend, mit wem man sich einläßt. Wofür käme man sonst zum Lohn in die Hölle?
    Und da ich bei alledem wollte, daß als vergnüglich genommen werde, was uns als einziges wirklich zittern macht, nämlich der metaphysische Schauder, blieb mir nichts anderes übrig, als unter den Handlungsmustern das metaphysischste und philosophischste auszuwählen, nämlich den Kriminalroman.
    Die Metaphysik des Kriminalromans
    Nicht zufällig fängt das Buch an, als ob es ein Krimi wäre (und täuscht den naiven Leser auch weiterhin, bis zum Schluß, weshalb er womöglich gar nicht merkt, daß es sich hier um einen Krimi handelt, in dem recht wenig aufgeklärt wird und der Detektiv am Ende scheitert). Ich glaube, daß Krimis den Leuten nicht darum gefallen, weil es in ihnen Mord und Totschlag gibt; auch nicht darum, weil sie den Triumph der (intellektuellen, sozialen, rechtlichen und moralischen) Ordnung über die Unordnung feiern. Sondern weil der Kriminalroman eine Konjektur-Geschichte im Reinzustand darstellt. Eine Geschichte, in der es um das Vermuten geht, um das Abenteuer der Mutmaßung, um das Wagnis der Aufstellung von Hypothesen angesichts eines scheinbar unerklärlichen Tatbestandes, eines dunklen Sachverhalts oder mysteriösen Befundes – wie in einer ärztlichen Diagnose, einer wissenschaftlichen Forschung oder auch einer metaphysischen Fragestellung. Denn wie der ermittelnde Detektiv gehen auch der Arzt, der Forscher, der Physiker und der Metaphysiker durch Konjekturen vor, das heißt durch Mutmaßungen und Vermutungen über den Grund der Sache, durch mehr oder minder kühne Annahmen, die sie dann schrittweise prüfen.17
    Letzten Endes ist die Grundfrage aller Philosophie (und jeder Psychoanalyse) die gleiche wie die Grundfrage des Kriminalromans: Wer ist der Schuldige? Um es zu wissen (um zu glauben, man wisse
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