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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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Aristoteles bin trotz allem immer der Ansicht gewesen, daß ein Roman auch und vor allem durch seine Handlung unterhalten soll.
    Zweifellos findet ein Roman, wenn er unterhaltsam ist, Anklang beim Publikum. Nun hat man jedoch eine Zeitlang geglaubt, daß Anklang beim Publikum (also Konsens und damit »Erfolg«) ein Zeichen für Minderwertigkeit sei. Wenn ein Roman beim Publikum Anklang finde, liege das daran, daß er nichts Neues bringe und den Lesern nur gebe, was sie bereits erwartet hätten.
    Ich glaube indessen nicht, daß es dasselbe ist, ob man sagt: »Wenn ein Roman den Lesern gibt, was sie erwartet haben, findet er Anklang«, oder ob man sagt: »Wenn ein Roman Anklang findet, liegt das daran, daß er den Lesern gibt, was sie erwartet haben.«
    Die zweite Behauptung ist nicht immer richtig. Man braucht nur an Defoe oder Balzac zu denken, um schließlich bei der Blechtrommel oder bei Hundert Jahre Einsamkeit anzukommen.
    Mancher wird nun hier einwenden, daß die Gleichsetzung von Konsens und Minderwertigkeit doch gerade bestärkt worden sei durch gewisse polemische Thesen, die wir seinerzeit in der »Gruppe 63«
    vertraten18, auch schon vor 1963, als wir den Erfolgsroman mit dem »versöhnlerischen« Roman gleichsetzten 342
    Nachschrift zum »Namen der Rose«
    und den »versöhnlerischen« Roman mit dem traditionellen »Handlungsroman«, wogegen wir die experimentelle Literatur verherrlichten, das avantgardistische Werk, das Empörung hervorruft und vom großen Publikum abgelehnt wird. Es stimmt, diese Thesen sind damals vertreten worden und hatten durchaus einen Sinn, es waren genau die Thesen, die am meisten Empörung bei den konformistischen Literaten hervorriefen und im Gedächtnis der Chronisten bis heute haftengeblieben sind – zu Recht, denn sie waren vertreten worden, um genau diesen Effekt zu erzielen, und waren gemünzt auf traditionelle, fundamental versöhnlerisch eingestimmte Romane ohne erwähnenswerte Innovationen gegenüber der Problematik des 19. Jahrhunderts. Daß sich dann starre Fronten bildeten und nicht selten aus jeder Mücke ein Elefant gemacht wurde, oft aus Gründen des Bandenkrieges, ist fatal. Ich erinnere mich, daß unsere Gegner damals Lampedusa, Bassani und Cassola waren19 – drei Autoren, die ich heute nicht mehr in einen Topf werfen würde. Lampedusa hatte einen guten Roman zur Unzeit geschrieben, und wir polemisierten gegen den Kult, der um ihn gemacht wurde, als habe er der italienischen Literatur einen neuen Weg gewiesen, während er ganz im Gegenteil einen anderen glanzvoll abschloß. Über Cassola habe ich meine Meinung nicht geändert. Über Bassani dagegen würde ich heute sehr, wirklich sehr viel behutsamer reden, und wären wir noch im Jahr '63, würde ich ihn als Weggefährten akzeptieren. Aber es geht mir hier um ein anderes Problem.
    Niemand erinnert sich nämlich mehr, was dann 1965 geschah, als die Gruppe erneut in Palermo zusammenkam, um über den experimentellen Roman zu diskutieren (und der Band mit den
    Tagungsbeiträgen, erschienen 1966 bei Feltrinelli unter dem Titel Il romanzo sperimentale , ist sogar immer noch lieferbar).
    Dabei war im Verlauf jener Tagung allerhand Interessantes zu hören. Vor allem das Eröffnungsreferat von Renato Barilli, dem einstigen Theoretiker sämtlicher Experimente des Nouveau Roman, der sich nun mit dem neuen Robbe-Grillet auseinandersetzte, und mit Grass und mit Pynchon (vergessen wir nicht, daß Thomas Pynchon heute zu den Begründern der literarischen »Postmoderne« gezählt wird – aber damals gab es diesen Begriff noch nicht, jedenfalls nicht in Italien, und John Barth in Amerika fing gerade erst an). Barilli zitierte den wiederentdeckten Roussel, der Jules Verne geliebt hatte, und er zitierte Borges nur darum nicht, weil dessen Neubewertung damals bei uns noch nicht eingesetzt hatte. Und was sagte Barilli? Daß man bisher die »Abkehr von der Intrige« privilegiert habe und den »Stillstand der Handlung im Aufschein und Rausch der Materie« (exemplarisch in Robbe-Grillets La Jalousie ). Aber daß nun eine »neue Phase der erzählenden Kunst« beginne mit einer »Wiederaufwertung der Handlung«, wenn auch einer strukturell anderen (einer »action autre« ).
    Ich analysierte danach die Eindrücke, die wir am Vorabend bei einem Kinobesuch gehabt hatten, als wir eine kuriose Filmcollage von Baruchello und Grifi sahen, Verifica incerta , eine Geschichte aus lauter Fetzen von anderen Geschichten, aus Standardsituationen,
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