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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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es), muß man annehmen, daß alle Tatsachen eine Logik haben, nämlich die Logik, die ihnen der Schuldige auferlegt hat.
    Jede Ermittlungs- und Konjekturgeschichte, jede Story von Aufklärung und Vermutung erzählt uns etwas, dem wir seit jeher beiwohnen (pseudoheideggerisches Zitat). Damit ist klar, warum sich der Hauptstrang meiner Geschichte (wer ist der Mörder?) in so viele Nebenstränge verzweigt: in lauter Geschichten von anderen Konjekturen, die alle um die Struktur der Vermutung als solcher kreisen.
    Ein abstraktes Modell der Vermutung ist das Labyrinth. Allerdings gibt es drei Arten von Labyrinthen.
    Erstens das klassisch-griechische, das des Theseus. In diesem Labyrinth kann sich niemand verirren: Man tritt ein und gelangt irgendwann ins Zentrum und vom Zentrum wieder zum Ausgang. Darum sitzt im Zentrum der Minotaurus, andernfalls hätte die Sache gar keinen Reiz und wäre ein simpler Spaziergang.
    341
    Nachschrift zum »Namen der Rose«
    Spannend wird sie, wenn überhaupt, nur dadurch, daß man nicht weiß, wohin man gelangt und was der Minotaurus dann tut. Aber wenn man das klassische Labyrinth auseinanderzieht, hat man einen Faden in der Hand, den Faden der Ariadne. Das klassische Labyrinth ist der Ariadne-Faden seiner selbst.
    Zweitens gibt es das barock-manieristische Labyrinth, den Irrgarten. Wenn man es auseinanderzieht, erhält man eine Art Baum, ein Gebilde mit zahlreichen Ästen und Zweigen aus toten Seitengängen. Es hat einen Ausgang, aber der ist nicht leicht zu finden. Man braucht einen Faden der Ariadne, um sich nicht zu verirren. Dieses Labyrinth ist ein Modell des trial-and-error- Verfahrens.
    Drittens schließlich gibt es das Labyrinth als Netzwerk oder, um den Begriff von Deleuze und Guattari aufzunehmen, als Rhizom. Das Rhizom-Labyrinth ist so vieldimensional vernetzt, daß jeder Gang sich unmittelbar mit jedem anderen verbinden kann. Es hat weder ein Zentrum noch eine Peripherie, auch keinen Ausgang mehr, da es potentiell unendlich ist. Der Raum der Mutmaßung ist ein Raum in Rhizomform. Das Labyrinth meiner Bibliothek ist zwar noch ein manieristisches, aber die Welt, in der zu leben William begreift, ist schon rhizomförmig strukturiert – oder jedenfalls strukturierbar, wenn auch nie definitiv strukturiert.
    Ein achtzehnjähriger Junge sagte mir nach Lektüre des Buches, er habe nichts von den theologischen Diskussionen begriffen, aber sie wirkten im Buch wie Verlängerungen des räumlichen Labyrinths (wie thrilling music in einem Hitchcock-Film). Ich glaube, es ist wohl tatsächlich so etwas geschehen: Auch der naivste Leser hat instinktiv gespürt, daß er vor einer Geschichte von Labyrinthen stand – und nicht nur von räumlichen Labyrinthen. Man könnte geradezu sagen, daß die naivsten Lesarten eigenartigerweise die
    »strukturellsten« waren: Der Leser ist unmittelbar, ohne Vermittlung durch die Inhalte, mit der Tatsache in Berührung gekommen, daß es unmöglich ist, nur eine Geschichte zu haben.
    Die Unterhaltung
    Ich wollte den Leser unterhalten, er sollte Spaß an der Sache haben. Zumindest soviel, wie ich daran hatte. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt, der scheinbar im Gegensatz zu den reflektiertesten Ansichten steht, die wir vorn Roman zu haben meinen.
    Unterhalten heißt nicht zerstreuen, ablenken von den Problemen. Robinson Crusoe will seinen Idealleser unterhalten, indem er von Buchhalteroperationen erzählt, von Alltagsverrichtungen eines braven homo oeconomicus , der diesem Leser sehr ähnelt. Doch der Robinson-Ähnliche soll, während er sich an der Lektüre seiner selbst in Robinson Crusoe ergötzt, auch etwas mehr über sich selbst begreifen und damit ein anderer werden. Er soll, während er sich unterhält, etwas lernen. Ob der Leser etwas über die Welt oder etwas über die Sprache lernen soll, ist eine Frage, in der die Poetiken der erzählenden Kunst divergieren, aber das ändert nichts an der Grundidee. Der Idealleser von Finnegans Wake soll sich am Ende genausogut unterhalten wie der Leser von Winnetou . Zumindest genausogut. Allerdings auf andere Weise.
    Nun ist jedoch der Begriff Unterhaltung historisch. Es gibt verschiedene Arten von Unterhaltung für jede
    »Saison« des Romans. Unbestreitbar hat der moderne Roman versucht, die Unterhaltung durch den dramatischen Handlungsverlauf (den »Plot« oder das, was man früher »Intrige« nannte) abzubauen, um dafür andere Arten von Unterhaltung zu privilegieren. Ich als großer Bewunderer der Poetik des
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