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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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meine Mittelalterlichen waren, die da modern redeten, sondern daß allenfalls die Modernen da ein bißchen mittelalterlich dachten. Ich frage mich eher, ob ich meinen Personen nicht manchmal ein etwas zu weitgreifendes Kombinationsvermögen verliehen habe, das heißt eine Fähigkeit, aus den disiecta membra ganz und gar mittelalterlicher Gedanken ein paar begriffliche 346
    Nachschrift zum »Namen der Rose«
    Hirngespinste zusammenzufügen, die das Mittelalter 50 nicht als die seinen anerkannt hätte. Doch ich glaube, daß ein historischer Roman auch dies tun muß: nicht nur in der Vergangenheit die Ursachen dessen aufspüren, was in der Folge entstanden ist, sondern auch den Prozeßverlauf angeben, durch den jene Ursachen dann allmählich begannen, ihre Wirkungen zu zeitigen.
    Wenn einer von meinen Mönchen durch den Vergleich zweier mittelalterlicher Ideen auf eine dritte modernere kommt, so tut er genau das, was »die Kultur« in der Folge getan hat – und mag auch damals nie jemand geschrieben haben, was er da sagt, so ist doch sicher, daß es jemand, wie konfus auch immer, zu denken begonnen haben mußte (womöglich ohne es auszusprechen, aus wer weiß wieviel Ängsten und Schamgefühlen).
    In jedem Fall hat mich eines sehr amüsiert: Wann immer mir ein Kritiker oder ein Leser schrieb oder sagte, da oder dort vertrete einer von meinen Mönchen zu moderne Gedanken, waren die inkriminierten Stellen genau und ausschließlich jene Passagen, die ich wortwörtlich aus Texten des 14. Jahrhunderts abgeschrieben hatte.
    Daneben gibt es andere Passagen, in denen die Leser gewisse Haltungen als erlesen »mittelalterlich«
    goutierten, die ich beim Schreiben als ungebührlich modern empfand. Es hat eben jeder seine eigene (meist verdorbene) Idee vom Mittelalter. Nur wir Mönche von damals wissen die Wahrheit, doch wer sie sagt, kommt bisweilen dafür auf den Scheiterhaufen.
    Zum Schluß
    Zwei Jahre nachdem ich das Buch geschrieben hatte, fand ich ein altes Blatt aus dem Jahr 1953, auf dem ich mir, damals noch Student, notiert hatte:
    »Horatio und der Freund rufen Graf P. zur Lösung des mystery of the ghost. Graf P.: ein exzentrischer und phlegmatischer Aristokrat. Dagegen: ein junger Hauptmann der dänischen Wache mit amerikanischen Methoden. Normaler Ablauf der Handlung nach den Grundlinien der Tragödie. Im letzten Akt, vor versammelter Sippschaft, erklärt Graf P. das Geheimnis: Der Mörder ist Hamlet. Zu spät, Hamlet stirbt.«
    Jahre später entdeckte ich, daß Chesterton schon eine solche Idee gehabt hatte. Kürzlich soll das Pariser OuLiPo (»Ouvroir de Litterature Potentielle«) ein Pattern aller möglichen Krimikonstellationen aufgestellt haben (der Mörder ist der Butler, der Mörder ist der Erzähler, der Mörder ist der Detektiv, usw. usw.), wobei herauskam: Es bleibt noch ein Buch zu schreiben, in dem der Mörder der Leser ist.
    Moral: Es gibt obsessive Ideen, sie sind niemals privat, die Bücher sprechen direkt miteinander, und eine wahre detektivische Untersuchung muß beweisen, daß immer wir die Schuldigen sind.
    347
    Nachschrift zum »Namen der Rose«
    Anmerkungen für den deutschen Leser
    1
    Mexikanische Lyrikerin (1651-1695). Zu deutsch etwa: »Rose, die rot auf dem Anger / stolz du dich spreizest / gebadet in Purpur und Karmesin: / Prunke üppig und duftend. / Doch nein, denn schön seiend / wirst du bald unglücklich sein.«
    2
    »Über die Welt Verachtung«: beliebter Titel hoch- und spätmittelalterlicher Traktate, vgl. Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters , Stuttgart 1975 (Kröners Taschenausgabe 204), Kapitel XI und XVI.
    3
    »Doch wo ist der Schnee vom vorigen Jahr?«: Refrain der um 1460 entstandenen Ballade des dames du temps jadis .
    4
    »Es ist keine Rose (vorhanden).«
    5
    Fermo e Lucia hieß die Urfassung von Alessandro Manzonis Roman I promessi sposi (dt. Die Verlobten ), der 1827 in Mailand erschien.
    6
    Romane von Ardengo Soffici (1879-1964), Guiseppe Antonio Borgese (1882-1952) und Vasco
    Pratolini (geb. 1913), z. T. auch ins Deutsche übersetzt: Ruhe (Heidelberg 1928) und Metello, der Maurer (Zürich 1957).
    7
    Unabhängige linkskommunistische Tageszeitung, für die Eco von 1971 bis 1974 geschrieben hat.
    8
    »Warum im Knabenalter der Koitus nicht gelingt«
    9
    »Hast du die Dinge, so folgen die Worte«, bzw. »Hast du die Worte, so folgen die Dinge« (Cicero).
    10
    Emilio Salgari (1863-1911), Verfasser von über hundert populären, noch heute vielgelesenen Abenteuerromanen ( La
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