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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose
Autoren: Umberto Eco
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phantastische Traum- oder Abenteuergeschichten lesen, ohne zu merken, daß sie einen Diskurs über alte Stiche darstellen und vielleicht auch einen über das Collagieren selbst. Wenn dies aber postmodern ist, dann liegt auf der Hand, warum Sterne oder Rabelais postmoderne Autoren waren, warum Borges gewiß einer ist, und warum in ein und demselben Künstler moderne und postmoderne Elemente koexistieren, einander kurzfristig ablösen oder auch alternieren können. Man denke zum Beispiel an Joyce: Das Portrait ist die Geschichte eines modernen Versuchs. Die Dubliners sind, obwohl früher, moderner als das Portrait. Ulysses steht auf der Grenze. Finnegans Wake ist schon postmodern oder eröffnet zumindest den postmodernen Diskurs, denn er verlangt, um verstanden zu werden, nicht die Negation des bereits Gesagten, sondern dessen ironische Neureflexion.
    Über den Postmodernismus ist schon fast alles gleich am Anfang gesagt worden (namentlich in Aufsätzen wie »Die Literatur der Erschöpfung« von John Barth aus dem Jahr 1967).20 Nicht daß ich immer mit allem einverstanden wäre, was die Theoretiker des Postmodernismus (Barth inklusive) über Autoren und andere Künstler schreiben, um jeweils festzulegen, wer schon postmodern ist und wer noch nicht. Aber mich interessiert das Theorem, das die Theoretiker dieser Richtung aus ihren Prämissen ableiten: »Mein idealer postmoderner Schriftsteller imitiert nicht und negiert auch nicht seine Eltern im zwanzigsten noch seine Großeltern im neunzehnten Jahrhundert. Er hat die Moderne verdaut, aber er trägt sie nicht als bedrückende Bürde mit sich herum . . . Dieser Schriftsteller kann vielleicht nicht hoffen, die Verehrer von James Michener und Irving Wallace zu erreichen, um nicht von den durch die Massenmedien
    lobotomisierten Analphabeten zu reden, aber er müßte hoffen, wenigstens .hin und wieder ein breiteres Publikum zu erreichen als nur die Zirkel derer, die Thomas Mann die Urchristen, die Jünger der Kunst nannte. Der ideale postmoderne Roman müßte den Streit zwischen Realismus und Irrealismus, Formalismus und ›Inhaltismus‹, reiner und engagierter Literatur, Eliten- und Massenprosa überwinden . . . Die Analogie, die ich vorziehe, ist eher die zu gutem Jazz oder klassischer Musik: Beim Wiederhören und Analysieren der Partitur entdeckt man vieles, was einem beim ersten Mal noch entgangen war, aber beim ersten Mal muß einen das Stück so gepackt haben, daß man Lust bekommt, es wiederzuhören, und das gilt sowohl für die Spezialisten wie für die Nichtspezialisten . . .« So Barth 1980, als er das Thema erneut behandelte, diesmal aber unter dem Titel »Die Literatur der Fülle«.
    Natürlich kann man das alles auch pointierter, polemischer und mit größerer Lust am scharfen Paradox sagen, wie es zum Beispiel Leslie Fiedler tut (in einer kürzlich auch bei uns veröffentlichten Diskussion zwischen ihm und anderen amerikanischen Autoren).21 Fiedler will provozieren, das ist evident: Er lobt den Letzten der Mohikaner , die populären Abenteuerromane, die Gothic Novel, den ganzen von den Kritikern stets verachteten Plunder, der es gleichwohl verstanden hat, Mythen zu schaffen und die Bilderwelten von mehr als einer Generation zu bevölkern. Er fragt sich, ob je noch einmal so etwas erscheinen werde wie Onkel Toms Hütte , ein Buch, das mit gleicher Leidenschaft in Küche, Salon und Kinderzimmer gelesen werden kann. Er tut Shakespeare auf die Seite der guten Entertainer, zusammen mit Vom Winde verweht . . . Wir wissen, daß er ein viel zu subtiler Kritiker ist, um das alles wirklich zu glauben. Er will ganz einfach die Schranke niederreißen, die zwischen Kunst und Vergnügen errichtet worden ist. Er ahnt, daß ein breites Publikum zu erreichen und seine Träume zu bevölkern heute womöglich heißen kann, Avantgarde zu bilden; und er läßt uns dabei noch die Freiheit zu sagen, daß die Träume der Leser zu bevölkern nicht unbedingt heißen muß, sie zu besänftigen, mit versöhnlichen Bildern zu trösten. Es kann auch heißen, sie aufzuschrecken: mit Alpträumen, Obsessionen.
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    Nachschrift zum »Namen der Rose«
    Der historische Roman
    Seit zwei Jahren weigere ich mich, auf sinnlose Fragen zu antworten. Etwa die Frage, ob mein Werk nun ein »offenes« sei oder nicht. Wie soll ich das wissen, das ist doch nicht mein Problem! Mir genügt, was Harald Weinrich darauf geantwortet hat (im Merkur, Heft 1/1983). Oder die Frage, mit welcher von meinen Personen ich
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