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Und die Großen lässt man laufen

Und die Großen lässt man laufen

Titel: Und die Großen lässt man laufen
Autoren: Per Wahlöö Maj Sjöwall
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    Der Tag war heiß und stickig gewesen, ohne einen Windhauch und mit zitterndem Sonnenglast in der Luft. Jetzt wölbte sich der Himmel hoch und klar. Seine Farben wechselten von Rosa bis zu dunklem Blau. Bald würde die rote Sonnenscheibe irgendwo hinter der Insel Ven verschwinden, und die Abendbrise, die schon über den Oresund strich und die Wasserfläche kräuselte, fächelte angenehme Kühle durch die Straßen Malmös. Mit dem leichten Wind kamen Düfte von faulendem Tang, Seegras und Müll, der am Strand von Ribersborg an Land gespült worden war, von wo er in die Hafeneinfahrt und in die Kanäle der Stadt getrieben wurde.
    Die Stadt hatte nicht sonderlich viel Ähnlichkeit mit dem übrigen Schweden, was hauptsächlich der geographischen Lage zuzuschreiben ist. Rom liegt näher als die Mitternachtssonne; am Horizont sieht man die Lichter des europäischen Festlands, und selbst wenn man zugeben muß, daß die Winter oft voller Schneematsch und sturmdurchtost sind, so ist es andererseits ebenso wahr, daß die Sommer mindestens genausooft lang und warm sind. Nachtigallen singen, und das üppige Grün der weitläufigen Parks verströmt einen wundervollen Duft. Und genauso war es an diesem lauen Sommerabend Anfang Juli 1969.
    Dazu war es ruhig und still und ziemlich menschenleer in der Stadt. Der internationale Tourismus hatte sich noch nicht zu sehr bemerkbar gemacht - davon spürt man in dieser Gegend ohnehin nicht allzuviel -, und von den ungewaschenen, haschrauchenden jugendlichen Landstreichern aus aller Welt waren erst die Vortrupps eingetroffen. In Malmö würde man ohnehin nicht allzuviel von ihnen zu sehen bekommen, denn die Mehrzahl kommt nie weiter als bis Kopenhagen.
    Sogar in dem großen Hotel gegenüber dem Hauptbahnhof unten am Hafen war es recht still. Einige ausländische Geschäftsleute diskutierten an der Portierloge über ihre Zimmerbestellungen. Die Garderobiere las in ungestörter Ruhe einen Klassiker, und im Halbdunkel der Bar befanden sich ein paar Stammgäste, die sich halblaut unterhielten, und ein Barkeeper in schneeweißem Jackett.
    In dem großen berühmten Speisesaal rechts von der Halle war ebenfalls nichts von übermäßiger Aktivität zu spüren, wenn es hier auch etwas lebhafter zuging. Einige wenige Tische waren besetzt, meist von Einzelpersonen, und der Pianist hatte eine Pause eingelegt. Direkt vor den Schwingtüren zur Küche stand ein Kellner, der die Hände auf dem Rücken gekreuzt hielt, und blickte nachdenklich durch die großen offenen Fenster ins Freie. Vermutlich träumte er von nicht allzu fernen Sandstränden.
    Ganz hinten im Saal saß eine Gesellschaft von sieben Personen, gutgekleidete Leute unterschiedlichen Alters und beiderlei Geschlechts. Der Tisch war mit Gläsern, Delikatessen und Sektkühlern vollgestellt. Das Bedienungspersonal zog sich diskret zurück, denn der Gastgeber hatte sich gerade erhoben, um eine Rede zu halten.
    Der Gastgeber - in einem Anzug aus dunkelblauer Shantungseide - war ein hochgewachsener Mann in mittleren Jahren (vielleicht etwas darüber), mit eisengrauem Haar und sonnengebräuntem Gesicht. Er sprach mit ruhiger, routinierter und modulationsfähiger Stimme und flocht gelegentlich humorvolle Wendungen in seine Rede ein. Die sechs anderen Tischgäste hörten schweigend zu und betrachteten ihn. Nur einer der Anwesenden rauchte.
    Durch die geöffneten Fenster hörte man den Lärm vorbeifahrender Autos. Auf der anderen Seite des Kanals wurden Züge rangiert (dieser Eisenbahnknotenpunkt ist übrigens der größte Rangierbahnhof Nordeuropas), und vom Hafen ertönte kurz und heiser die Sirene eines Kopenhagen-Dampfers. Irgendwo am Kanalufer kicherte ein junges Mädchen.
    So also war die Situation an diesem weichen, warmen Mittwoch im Juli, abends gegen halb neun Uhr. Man muß sich des Wortes »gegen« bedienen, denn keiner der Anwesenden war später in der Lage, den exakten Zeitpunkt der nun einsetzenden Geschehnisse anzugeben. Was geschah, läßt sich dagegen um so leichter sagen.
    Ein Mann betrat das Hotel durch die Eingangstür, warf einen Blick auf die ausländischen Geschäftsleute an der Rezeption und auf den Portier in seiner langen Livree, wandte sich dann sofort nach rechts, ging an der Garderobe vorbei durch die schmale, langgestreckte Halle und betrat den Speisesaal, ruhig und zielbewußt und mit Schritten, die keine auffallende Eile verrieten. An diesem Mann war noch immer nichts Aufsehenerregendes zu bemerken. Niemand sah ihn an,
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