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Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
Autoren: A. Lee Martinez
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Urwesen namens Vorm der Hungrige. Für ein uraltes Wesen ist er eigentlich recht annehmbar. Aber wenn du ihn aus dem Schrank lässt, wird er dich fressen.«
    Sie senkte den Hörer. »Du bist ein Kannibale?«
    Vorm kicherte. »Kannibalen fressen ihre eigene Art. Ich bin eine einzigartige Wesenheit. Es gibt nur einen Vorm den Hungrigen, und das bin ich. Und du bist …?«
    Sie ignorierte die Frage. »Du wirst mich fressen?«
    »Ja, wahrscheinlich schon. Ich nehme nicht an, dass es dir hilft, wenn ich mich im Voraus schon mal entschuldige.«
    Sie hob den Hörer wieder ans Ohr. »Hör gut zu, Nummer Fünf. Du bist jetzt Vorms Wächterin. Du wirst nicht altern oder krank werden, und du kannst auch nicht auf herkömmliche Art sterben.«
    »Okay, das klingt immer mehr und mehr nach Schwachsinn«, sagte sie.
    »Unterbrich mich nicht. Ich habe auch noch andere Pflichten. Wenn ich Nummer Drei nicht in fünf Minuten eine Avocado bringe, fällt Kalifornien ins Meer.«
    »Ja, klar. Klingt logisch.« Sie gab auf und hörte einfach zu.
    »Eines Tages, Nummer Fünf, wirst du Vorm freilassen. Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht morgen. Vielleicht nicht in hundert Jahren. Aber eines Tages, wenn das Kriechtempo der Ewigkeit zu viel für dich wird, wirst du diese Tür öffnen. Dann wird er dich verschlingen, zurück in sein Gefängnis gehen und auf den nächsten Wächter warten. So läuft das nun mal. Es nützt auch nichts, sich darüber zu beschweren. Ich habe keinerlei Einfluss auf irgendetwas von alledem.«
    »Aber …«
    »Ich bin nicht mal verpflichtet, dir diese Information zu geben, aber du scheinst mir eine nette junge Frau zu sein. Also viel Glück.«
    Er legte auf, und sie wusste, diesmal würde er nicht zurückrufen.
    Sie durchsuchte das Apartment noch einmal. Fuhr mit den Fingern an jeder Wand entlang, ertastete jede Ecke, verrückte jedes einzelne Möbelstück. Wenn es einen Weg nach draußen gab, so fand sie ihn nicht. Aber nur um sicherzugehen suchte sie noch einmal.
    Wenn man West glauben konnte (auch wenn sie dazu noch nicht so recht bereit war), war sie eine Gefangene, und ihr einziger Ausweg war der Tod. Und falls sie unsterblich war, gab es nur eine Möglichkeit, zu sterben: von einem Monster gefressen zu werden, das in ihrem Schrank lebte.
    Sie fand ein Buttermesser im Küchenschrank und zog es sich über die Handfläche. Es war nicht leicht, sich mit diesem Messer einen blutigen Schnitt zuzufügen, aber sie schaffte es. Der flache Schnitt schloss sich sofort wieder. Nicht einmal eine Narbe blieb zurück.
    Weiter wollte sie im Moment nicht gehen. Vielleicht würde ihr in hundert Jahren so langweilig sein, dass es ihr amüsant vorkam, sich die Arme mit einem stumpfen Buttermesser abzusägen.
    So lange bleiben, wie sie konnte. Gehen, wann immer sie wollte. Jetzt verstand sie es.
    Sie ging zurück ins Bett. Der Radiowecker auf dem Nachttisch zählte die Minuten. Sie drehte die leuchtend roten Zahlen zur Wand und versuchte, nicht daran zu denken. Falls sie wirklich unsterblich war, verfügte sie über alle Zeit des Universums. Es erschien ihr sinnlos, sich über jede Sekunde Gedanken zu machen. Diana drehte den Wecker wieder zu sich herum und runzelte die Stirn. Zweiundzwanzig Minuten waren vergangen.
    Zweiundzwanzig Minuten.
    Sie legte sich das Kissen aufs Gesicht und dachte über die Unendlichkeit nach, unterteilt in Zweiundzwanzig-Minuten-Abschnitte. Endlose Zweiundzwanziger-Häppchen, eines nach dem anderen.
    Das Kriechtempo der Ewigkeit, in der Tat.
    Sie stand auf und schaltete den Fernseher an. Da lief nichts. Vielleicht war sie aber auch nur nicht in der Stimmung.
    »Kannst wohl auch nicht schlafen, was?«, fragte das Schrankmonster. »Ich hasse das. Natürlich schlafe ich auch nur alle zwei Jahrhunderte sieben Minuten lang. Und glaub mir, das nervt. Ich habe eine Menge Zeit totzuschlagen, und ein Nickerchen hier und da könnte schon helfen.«
    Sie drehte den Ton lauter.
    »Wir sind einander die einzige Gesellschaft, die wir für lange, lange Zeit haben werden«, sagte Vorm. »Wir können zumindest versuchen, zivilisiert zu sein.«
    Sie starrte in den Fernseher, ohne wirklich hinzusehen, dachte nur über das Vergehen von Zeit nach und hörte auf das Ticken der Uhr an der Wand. Wo kam überhaupt diese Uhr so plötzlich her? Sie war vorher doch nicht hier gewesen, da war sie sich sicher. Sie hatte schließlich jeden Zentimeter der Wohnung abgesucht.
    Diana schaltete den Fernseher stumm.
    »Das ist nicht
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