Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
Autoren: A. Lee Martinez
Vom Netzwerk:
konnte. Es war zu schön, um wahr zu sein.
    »Wo ist der Haken?«, fragte sie.
    Er lächelte. »Da haben wir aber mal ein kluges Mädchen.«
    Sie versteifte sich. Ihr erster Gedanke war: Dieser Kerl musste ein Unhold sein, der unschuldige junge Frauen in ein Leben voller Orgien und Pornografie lockte. Aber da wäre mehr als eine Jukebox und ein Sixpack Limo nötig gewesen, um Diana dazu zu bringen, vor einer Webcam zu strippen. Vielleicht, wenn noch ein guter Kabelvertrag dabei war …
    »Regel Nummer zwei«, sagte er. »Öffne niemals diesen Schrank.«
    Er deutete auf eine Tür neben dem Badezimmer.
    »Warum?«, fragte sie.
    »Gute Frage. Leute, die zu viel fragen, leben meistens nicht lange. Nummer Sieben hat eine Menge Fragen gestellt. Früher.«
    Er fummelte an seinem Schlüsselbund herum und schaffte es nach einigem Klimpern und Brummeln, den Schlüssel für die Wohnung abzuziehen und ihr hinzuhalten.
    »Das gehört alles dir, wenn du willst.«
    Sie griff nicht sofort nach dem Schlüssel. Ein sechster Sinn warnte sie, dass sie damit einen faustischen Pakt einging. Seltsam, denn sie wusste nicht einmal genau, was ein faustischer Pakt war. Auf jeden Fall ging man ihn nicht leichtfertig ein. Das wusste sie.
    »Wenn du nicht willst«, sagte er, »nimmt es jemand anders.«
    »Wie lautet die erste Regel?«, fragte sie. »Sie haben mir die dritte und die zweite genannt, aber nicht die erste.«
    Er zögerte und kaute auf seiner Unterlippe.
    »Die erste Regel ist: Schalt das Licht aus, wenn du den Raum verlässt. Dass ich die Nebenkosten bezahle, heißt nicht, dass ich eine Gelddruckmaschine besitze.«
    Für eine Wohnung ohne Nebenkosten hätte Diana ihre Seele verkauft, also riss sie ihm den Schlüssel aus der Hand. West war überrascht genug, um seine Augen ein kleines bisschen zu öffnen.
    »Wo ist der Mietvertrag?«, fragte sie.
    »Es gibt keinen Mietvertrag. Du bleibst, solange du kannst, Nummer Fünf. Geh, wann immer du willst.«
    Sie folgte ihm zur Tür hinaus. Ihre drei Koffer standen schon im Flur.
    »Hmm«, sagte er. »Die Wohnung mag dich offenbar. Das ist ein gutes Zeichen.«
    Ohne ein weiteres Wort watschelte er davon. Kaum war er außer Sicht, verschwand auch das Klirren seiner Schlüssel. Stille erfüllte den Flur. Nein, das war nicht ganz richtig. Von irgendwo kam Musik. So leise, dass man sie fast nicht hörte. Wie ein Chor bei der Probe. Aber sie konnte nicht ausmachen, wo die Musik herkam.
    Der kleine Hund vor Apartment zwei sah verloren zu ihr herüber und wimmerte.
    Sie blickte sich in ihrem funkelnagelneuen Apartment um. Was machte es schon aus, wenn der Vermieter ein bisschen seltsam war? Diese Wohnung war wie für sie gemacht, und bei der Pechsträhne, die sie in den letzten Wochen gehabt hatte, schien ihr das ein gutes Omen zu sein. Das Blatt wendete sich.
    Sie steckte einen Nickel in die Jukebox. Der mechanische Arm packte eine glänzende Vinylscheibe und legte sie auf den Plattenteller. Frankie Avalon sang von den Vorzügen des Strandlebens, und sie lächelte.
    Diana verschwendete keine Zeit und packte sofort aus. Sie musste diese Wohnung in Besitz nehmen. Sie lebte schon zu lange aus dem Koffer, hatte bei Freunden gepennt ... wie eine Vagabundin. Sie stopfte ihre Kleider so eifrig in die Schubladen, dass sie die meisten nicht einmal faltete. Doch als sie die Schubladen geschlossen hatte, hatte sie das Gefühl, ihre Duftmarke gesetzt zu haben. Danach hing sie eine Stunde lang herum, saß auf dem Sofa, trank Limo, sah fern, entspannte sich einfach. Chubby Checker, Aretha Franklin und The Big Bopper leisteten ihr Gesellschaft. Und als sie müde wurde, schlief sie auf dem hübschen, bequemen Bett ein und hatte die absonderlichsten Träume.
    Sie war sie selbst und doch auch wiederum nicht. Sie flog über andere Welten, fremdartige Gefilde ohne Form oder Substanz; versunkene Städte und Geister vergessener Zivilisationen zogen unter ihr vorbei. Die Zeit verwandelte alles und jeden zu Staub. Vom winzigsten Sandkorn zu den Größten der Urzeit. Im Zentrum all dessen lag der schlummernde Gott still da – gehüllt in den Traum, den törichte Sterbliche und unmenschliche Gottheiten gleichermaßen Realität nannten.
    Der Gott öffnete eines seiner zahllosen Augen. Ein Auge, das größer war als die Sonne. Und obwohl sie nicht mehr als ein Staubpartikel war, richtete sich der schwarzgelbe Augapfel auf sie. Das Gewicht eines riesigen, unverständlichen Universums drohte, Diana zu zerquetschen. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher