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Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
Autoren: A. Lee Martinez
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vermieden es geflissentlich, Calvin anzusehen. Er überlegte, sich etwas zu trinken zu besorgen, aber sobald er hinüberginge, würden sie katzbuckeln und herumscharwenzeln und ihm den Hintern küssen.
    Er war es so leid.
    Sharon las seine Gedanken. »Ich hole dir ein Glas. Wie wär’s, wenn du dich hinsetzt?«
    »Danke. Was täte ich nur ohne dich?«
    Er ging zu dem Marmorthron am Kopf der Treppe hinüber. Das Ding war hart und unbequem, aber daran hatte er sich inzwischen gewöhnt. Greg, ein grinsender, kriecherischer Dummkopf, angetan mit seiner lächerlichen lavendelfarbenen Robe, stand neben dem Thron. Calvin sah sich über die Schulter hilfesuchend nach Sharon um, doch sie war schon mit einem anderen Gast in ein Gespräch vertieft.
    »Dann bringe ich es eben hinter mich«, brummelte Calvin vor sich hin und zwang sich zu einem Lächeln, als er näher herantrat.
    »Es ist so gütig von dir, dich zu uns zu gesellen, Herr der Wildnis«, sagte Greg. »Wir sind deiner Anwesenheit nicht würdig, ganz zu schweigen von deinen Gaben.«
    »Ja. Ich nehme nicht an, wir können das ein bisschen beschleunigen?«, fragte Calvin. »Mir ist heute nicht so recht danach.«
    Greg lächelte. Sein Lächeln war – entweder von Natur aus oder aus Unfähigkeit – eine schmierige, kontraproduktive Leistung. Vielleicht war es aber auch nur Calvin, der es so sah. Greg litt nie unter Mangel an Freunden.
    Irgendwie war es immer die gleiche Art von Arschloch, mit der Calvin zu tun hatte. Manchmal fragte er sich, was das über ihn aussagen mochte.
    Greg sah in den Nachthimmel. Die Bauart des Alkovens und die eigenartige Magie des Anwesens ließen jeden Stern näher und heller erscheinen. Der Halbmond glänzte wie ein polierter Nickel.
    »Die Sterne stehen schon beinahe perfekt«, sagte er. »Lass sie die Verderbtheit der Zivilisation aus diesen zerbrechlichen sterblichen Hüllen hinwegfegen.«
    »Mmm-hmm.« Calvin setzte sich auf den Thron. Eine elektrische Entladung kitzelte seine Ellbogen, und der Mond und sein ihn verfolgender Gott flüsterten ihre Geheimnisse. Wenn er sie nur deutlicher hätte hören können …
    Sharon erschien mit einem Teller Käse und zwei Gläsern Wein. »Hallo, Greg. Schöner Abend, nicht wahr?«
    Greg nickte auf seine vertraute einstudierte, versonnene Art. Es sollte weise und nachdenklich wirken, doch es kam eher als schwerfällig und begriffsstutzig rüber. Als wäre sein Gehirn ein rostiges Getriebe, das gleichzeitig die Frage verarbeiten und seinen Hals krümmen musste.
    »Ich glaube, die McKinneys haben dich gesucht«, sagte sie. »Irgendetwas mit einer erneuten Spende für den Tempel, glaube ich.«
    Mit einer hastigen Verabschiedung eilte Greg davon; immer auf der Suche nach noch mehr von dem materiellen Wohlstand, den er schon einen Großteil seines Lebens gleichzeitig anhäufte und missbilligte.
    »Danke«, sagte Calvin. »Du bist meine Lebensretterin.«
    »Ich tu, was ich kann.«
    Sie stießen mit ihren Weingläsern an und warteten darauf, dass die Sterne günstig standen. Als der Moment schließlich kam, räumten die Catering-Angestellten den Tisch weg, und die Gäste – alle bis auf Calvin auf seinem Thron und die Angestellten, die sich hinter verschlossenen Türen versteckten – stellten sich nackt in den Alkoven. Sie bildeten einen Halbkreis, fielen auf die Knie und warfen sich vor Calvin, ihrem Herrn und Meister, nieder.
    Greg, sonnengebräunt und mit einer Haut, die vom Lasern und von obsessivem Waxing geglättet war – ein Paradoxon zwischen der natürlichen Welt und der Besessenheit der Menschheit, ihre Verbindungen dazu vergessen zu machen, begann zu predigen. Calvin hörte nicht zu. Das Wesentliche kannte er. Die neue Welt würde kommen. Die Zivilisation würde fallen, ersetzt durch etwas Reineres, Würdigeres. Die Starken würden regieren. Die Schwachen würden untergehen. Ruhm und Ehre, irgendetwas von der Schönheit des Chaos, bla, bla, bla, bla.
    Die Menge zuckte und wiegte sich im Rhythmus von Gregs Worten. Gegen Ende der Zeremonie gab es immer diesen Moment, wo Calvin daran dachte, einfach aufzustehen und zu gehen. Aber sie hätten ihn ganz einfach wieder aufgespürt. Das taten sie immer. Oder irgendwelche anderen, die genauso waren.
    Ein Strahl silbernen Mondlichts schien auf den Thron herab. Calvin spürte das Knistern übernatürlicher Mächte durch sich hindurchfließen, als wäre er ein Prisma. Es filterte in die Menge und löste damit die Verwandlung aus.
    Greg war der
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