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Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
Autoren: A. Lee Martinez
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wieselte.
    »Verdammt!« Er ließ sich auf den Boden fallen und tastete in der Dunkelheit herum. »Sharon!«
    »Ach Mensch, Calvin!«, sagte sie. »Wir haben keine Zeit für so etwas!«
    »Sag das nicht mir«, erwiderte er. »Sag es dem da!«
    Seine Hand schloss sich um das feuchte haarige Wesen, doch es wand sich aus seinen Fingern.
    »Verdammt«, sagte er. »Komm her, du kleiner Scheißer!«
    Das Bett wankte, als das Wesen knurrte und zischte. Fauchend biss es Calvin die Hand ab. Er zog einen blutigen Stumpf zurück, nur dass das Blut schwarz war und zäh wie Teer.
    »Ach, Mist!«
    Das Monster warf das Bett auf die Seite. Der haarige Klumpen wandte sich zum Fenster und heulte den Mond an. Dann warf er sich durch die Scheibe und stürzte in die Tiefe; sein langes, erschrockenes Gurgeln verstummte erst, als es auf dem Straßenbelag aufschlug. Keines dieser Klumpenviecher kapierte je das Prinzip der Schwerkraft. Meistens führte das in ihr Verderben.
    Eine neue Hand blubberte aus dem Stumpf. Die Haut war gräulich, die Adern bildeten ein grellrotes Netz. In ein paar Minuten würde sie normal aussehen.
    Sharon kam herein und schüttelte den Kopf über das zerbrochene Fenster.
    »Ehrlich, Calvin. Manchmal glaube ich, du machst das mit Absicht.«
    Er zuckte die Achseln. »Tut mir leid.«
    »Schon gut. Zieh einfach deine Schuhe an.«
    Das Bett fiel an seinen Platz zurück. Das Fenster setzte sich wieder zusammen. Eine unsichtbare Hand versuchte, Calvin aus dem Gewebe der Realität zu pflücken. Doch sie scheiterte – wie immer. Er war ein Widerhaken in der Haut des Universums, ein ungebetener Eindringling, der nicht zu entfernen war. Die unsichtbare Hand kratzte an ihm, wie ein Hund an einem Floh kratzt. Es tat zwar nicht weh, aber es nervte.
    Der Mondgott heulte.
    Das würde wieder eine dieser Nächte werden.
    Sie gingen nach unten zu einer schwarzen Limousine, die dort wartete. Schweigend lehnten sie sich in die Sitze zurück. Dem Fahrer mussten sie nicht sagen, wo es hingehen sollte, und auch sonst gab es nichts zu besprechen. Die Routine war immer dieselbe. Sharon las ein People Magazine , während Calvin aus dem Fenster starrte und die Stadt vorbeiziehen sah. Sie fuhren in die wohlhabenden Vororte, in denen sich die Häuser hinter Steinmauern und Eisengattern versteckten. Der Wagen bog auf ein Anwesen ein und fuhr die gewundene Auffahrt entlang. Formschnitthecken und Pflaster machten Kies und ungepflegten Büschen Platz. Der Kies wurde zu Erde und die Büsche zu einem Wald. Calvin wusste nicht genau, wie groß das Anwesen sein mochte, aber es dauerte mindestens fünf Minuten, um vom Tor zum Haus zu fahren, das in seinem Zentrum stand. Der gepflegte Rasen verschwand – verschlungen von einer pervertierten Wildnis.
    Das Herrenhaus markierte ein merkwürdiges Stück Zivilisation an einem absichtlich unzivilisierten Ort. Elektrisches Licht erleuchtete ein paar Fenster, ansonsten erhellten hauptsächlich Feuer in Kohlenbecken oder Fackeln den Weg. Sechsunddreißig Wagen waren auf dem Erdboden der Lichtung gleich neben der Veranda geparkt. Zwei mehr als letzte Woche, bemerkte Calvin.
    Eine ältere Frau in einem roten Kleid und ihr junger Vorzeigemann im Smoking folgten den Fackeln hinters Haus. Er hatte sie früher schon einmal gesehen, sich aber nie die Mühe gemacht, ihre Namen zu lernen.
    Als Calvin aus dem Wagen stieg, wandte ein bärtiger Mann im Rollkragenpullover den Blick ab und verneigte sich leicht, bevor er in schlecht verhohlener Panik davoneilte. Calvin blickte finster drein.
    »Warum tun sie das immer?«, fragte er.
    »Sei nett!«, sagte Sharon.
    »Es ist einfach verdammt nervtötend, das ist alles. Du machst diesen Ehrenbezeugungs-Blödsinn doch auch nicht.«
    »Und das ist auch gut so. Irgendwer muss ja dafür sorgen, dass du deine Termine einhältst.«
    Sie gingen außen herum zur hinteren Veranda, einem ausgedehnten Prunkerker aus Steinsäulen, in die verzerrte unmenschliche Figuren gehauen waren. Die meisten dieser Gestalten waren von kriechendem Moos überwuchert. Man hatte sich gerade genug Mühe gegeben, um die wuchernde Wildnis in Schach zu halten. Ein kleiner Versammlungsort war freigelegt worden, groß genug, dass sich die Gäste um einen Tisch mit Käse, Wein und Kaviar scharen konnten.
    Es war eine vielgestaltige Gruppe. Die Auserwählten unterschieden nicht zwischen Alter, Rasse und Geschlecht. Gregs Bedürfnis, gemocht zu werden, kannte keine Vorurteile oder Präferenzen.
    Die Auserwählten
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