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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift
Autoren: Pierre Magnan
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baute die Grimaude sich in voller Größe auf ihren kurzen Beinchen hinter dem Tresen auf und sagte voller Hoffnung: »Und?«, als wenn sie darauf wartete, dass sie mit ihr schlafen würden.
    Aber die Gendarmen zwinkerten nur amüsiert mit den Augen, schlugen sich auf die Schulter, bedankten sich und gingen. Undurchdringlich verließen sie uns und lächelten jedem zu. Als ob sie nicht wüssten, dass wir alle an ihren Lippen hingen wie ein Bettler aus Indien am Rockzipfel einer Frau Oberst der Heilsarmee. (Dieser Vergleich stammte von unserem Bürgermeister, der nicht aus dieser Gegend stammte.) Polizisten sind wirklich nicht hilfsbereit.
    Die Félicie Battarel sagte, sie kämen, um zu überprüfen, ob er immer noch da, ob er auch nicht geflohen sei. Sie sagte, er sei nur scheinbar ein freier Mann. In Wirklichkeit sei jedoch die Gegend der clues, von Barles bis Verdaches, sein Gefängnis, das er nicht verlassen dürfe. Sie hatte sich eine sehr schöne Vergangenheit für Monsieur Fondère zurechtgelegt, der sie in ihren Bann zog, sobald sie ihn zufällig traf.
    Aber was uns am meisten empörte, was ihn unbeliebt machte, war, dass er uns alles wegnahm. Wir waren hier schon seit vielleicht hundert Generationen ansässig, und Morcheln fanden wir zwar jedes Jahr, aber nur zehn, zwölf, höchstens fünfzehn, und noch nicht einmal jede Familie. Er aber verhöhnte uns mit seinen vollen Körben, die er deutlich sichtbar durch das ganze Dorf trug.
    Jedes Frühjahr verfolgten wir ihn, aber es war zwecklos. Er brach immer in Richtung Blayeul auf, und auf dem Rückweg kam er von der montagne de Chine, genau an der gegenüberliegenden Talseite, herab. Zuerst machte er einen Umweg von zwei Stunden, der einzig und allein dazu diente, uns zu verwirren. Wir konnten noch so sehr mit dem Fernglas nach ihm Ausschau halten, plötzlich verschwand er, verschluckt von dem Schatten eines Waldsaumes, manchmal sogar mitten auf einer Wiese, als habe die Erde ihn verschlungen.
    Seine Morcheln aß er alle auf, ganz allein, ohne uns welche anzubieten, ohne welche davon zu verkaufen. Er machte sich daraus riesige Omelettes (immer genau ein Ei pro Morchel). Wir sagten unter uns: »Eines Tages wird er schon daran sterben«, und setzten dabei ein wenig Hoffnung in eine giftige Morchelart, die bei uns sehr häufig vorkommt. Aber nein, er starb nicht daran. Wir waren allerdings nicht sicher, ob er nicht womöglich schon tot war, so leichenhaft wie er aussah.
    Was nun diesen Monsieur Fondère anbelangte, so hätten wohl alle gern mehr gewusst: »Versuch ein bisschen was über ihn herauszufinden!«, hatte Prudence Emile Pencenat befohlen. Sie war von Rose angestachelt worden, die genauso brennend neugierig war wie all die anderen und die nicht abgeneigt gewesen wäre, ihre erotische Sammlung mit einer geheimnisvollen Gestalt zu vervollständigen.
    »Etwas herausfinden!«, brummte Pencenat. »Die ist vielleicht komisch!« Und laut: »Was willst du denn wissen? Und was soll’s denn da überhaupt herauszufinden geben? Der Mann ist ein armer Teufel, wie wir alle, nicht mehr …«
    Immerhin war der Morchelsammler eine nahezu alltägliche Erscheinung im Vergleich zu diesem Hochseekapitän. Als der vor drei Jahren hier ankam, war die Ginette Riboud ihm als erste begegnet, als sie um eine Scheune herumging. Sie hatte vor Schreck aufgeschrien, als sie mit ihren Brüsten gegen seinen mageren Körper gestoßen war. In Erinnerung an eine Radierung in seinem alten Malet et Isaac, dem berühmt-berüchtigten Geschichtsbuch aus seiner Schulzeit, hatte ihm der Volksschullehrer den Beinamen »Ramses II« gegeben.
    Er war eine Art Bückling. Er hatte die gleiche unheilvoll goldene Farbe und eingefallene Augenhöhlen wie die Kiemen eines erstickten Fisches. Der Whisky hatte sein Fett, seine Muskeln und seine Nerven aufgefressen.
    Dieser Mann war immer in einen marineblauen Mantel aus Ratiné eingehüllt, auf dessen abgenutztem Kragen sich ständig Schuppen ansammelten. Er hatte einen ruckartigen, wiegenden Gang und suchte dauernd irgendeine Stütze in seiner Nähe, um sich daran festzuhalten. Beim geringsten Anzeichen einer Gefahr duckte er sich unvermittelt, als bräche im nächsten Moment eine gewaltige Woge über ihn herein.
    Er war an einem Mittwoch ohne Gepäck mit dem Bus aus Verdaches angekommen, und seither waren ihm nur wenige Sachen gefolgt. Es waren bunt zusammengewürfelte Sachen, alle mehr oder weniger nützlich, wie aufs Geratewohl bei einem jäh
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