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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift
Autoren: Pierre Magnan
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Pik! Sie sind wohl nicht ganz bei der Sache.«
    »Ich denke …«, begann Pencenat.
    Er beendete den Satz nicht. »Ich denke«, wollte er sagen, »an diesen Brief. Je öfter ich daran denke, desto mehr sage ich mir, dass da was nicht stimmt …«
    Aber die Angst vor dem Sarkasmus der anderen hielt ihn davor zurück, sie ins Vertrauen zu ziehen. In seiner Unterwürfigkeit glaubte er, es mit abgebrühten Gemütern zu tun zu haben, die keinerlei Besorgnis zugänglich waren und die sich über seine Naivität lustig machen würden, falls sie ihm nicht sogar vorwerfen würden, zu viel zu trinken.
    In Wirklichkeit waren sie jedoch alle in Gedanken versunken. Achteten sie überhaupt auf die Farbe ihrer Karten? Alle nippten sie an dem Nusswein von Monsieur Régulus. Manchmal, wenn sie kurz davor waren, ihren entscheidenden Trumpf auszuspielen, stockte ihnen die Hand über dem Kartenteppich; sie lauschten auf weiß der Teufel was, im Tal, in der Nähe der Schule: auf das melancholische Brausen des starken Windes, das Bellen eines Fuchses, den Absturz einer Böschung in das angeschwollene Flussbett des Bès oder auf den Ausbruch eines donnernden Gebrülls, das der Frau oder dem Vieh galt.
    In Wahrheit fürchteten sie sich genau wie Pencenat vor dem Fluch dieser kargen Gegend, die sie für eine Zuflucht gehalten hatten und die sie nun beharrlich unter sich begrub, während sie noch ihre Pläne bis ins Unvorhersehbare machten.
    »Man braucht eine Beschäftigung, die einen ganz in Anspruch nimmt, um die hallende Einsamkeit dieser Gegend auszuhaken, wo die Fluten, die Bäche und der Wind ganz allein Besitz von der Stille ergreifen und die Erde allmählich aufzehren, um sie ins Meer zu ziehen«, sagte sich der Kapitän Combaluzier. Er jedenfalls hörte nichts anderes.
    Wortlos und nur seinen spachtelförmigen Daumen bei jeder Runde anfeuchtend teilte Monsieur Régulus die Karten aus, wahrscheinlich, um seinen Mitspielern Gelegenheit zu geben, die ganze Tiefe des Landes genau auszukosten. Nichtsdestoweniger beobachtete er Emile Pencenat verstohlen. Er erkannte an ihm die geheimnistuerische Miene eines Schülers, der unter seinem Pult die Kröte versteckt, die der Lehrer gleich schlucken soll. Eine Miene, die jeder alte Pauker zu deuten weiß.
    »Es scheint mir, Pencenat«, sagte er sanft, »als hätten Sie Lust, uns etwas zu erzählen?«
    Hastig besann sich der überraschte Pencenat auf eine Lüge, wie man sie eben unter dem Blick eines Schulmeisters hervorbringt, ohne Hoffnung, Glauben zu finden.
    »Oh!«, sagte er, »Überhaupt nichts. Gar nichts. Ich habe nur gerechnet. Ich hab mir gesagt, dass ich nun schon anderthalb Meter tief gegraben habe, und, unglaublich … immer noch trocken! Mit dem Regen, den es im September gegeben hat, müsste der Boden doch aufgeweicht sein … Aber nein, er ist trocken und lässt sich gut abtragen; die Erde ist ganz leicht und zerbröckelt! Lediglich am Rande des Lochs ist es ein bisschen feucht, gerade mal zwanzig Zentimeter tief! Ach, ich versichere Ihnen, die Toten dort unten bleiben fünfhundert Jahre lang im Trockenen! Da braucht es schon eine Sintflut, damit die nass werden!«
    Er war glücklich über diese schnell gefundene Ausrede, bei der er ein gewisses Frohlocken nicht hatte unterdrücken können.
    »Man kann sagen«, brummte Monsieur Fondère, »dass wenigstens Sie mit glänzenden Zukunftsaussichten liebäugeln!«
    »Wieso?«, fragte Pencenat. »Der Tod ist doch etwas Natürliches, oder etwa nicht?«
    »Nicht immer!«, knurrte Combaluzier. »Und ich für meinen Teil könnte Ihnen von einigen Todesfällen erzählen, die es nicht waren!«
    »Warum?«, fragte Régulus ruhig, der gerade seinen nächsten Spielzug, eine tierce, angekündigt hatte. »Wenn diese Todesfälle gewaltsam waren und unerwartet eintraten, wie Sie uns offenbar zu verstehen geben möchten, so muss das doch nicht heißen, dass sie unnatürlich waren. Und außerdem, was nennen Sie …«
    Mit einem Mal hielt er inne. Jäh richtete sich sein lauernder Blick bis zum äußersten Rand seiner Augenlider nach oben, und er hob den Kopf zur Decke.
    »Psst!«, flüsterte er befehlend.
    Es erschien ihm, als ob irgendeine Maus in seinem Zimmer oder unter dem Dach oder – wer weiß – vielleicht auch im Schuppen nebenan, der als Holzverschlag diente, nicht wieder zu behebende Schäden verursachte. Jedes Mal, wenn er es hörte, ließ ihm dieses Geräusch das Blut in den Adern gefrieren.
    Dieses »Psst!«, das ebenso ihm selbst wie den
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