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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift
Autoren: Pierre Magnan
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Besitz von der Stille ergreift –, hatte Monsieur Régulus sich bereitgefunden, seine selbst gewählte Isolierung durch einige Zugeständnisse zu mindern. Das war die Erklärung für die drei sonderbaren Gestalten, die er dazu überredet hatte, sich jeden Mittwoch-und Samstagabend bei ihm zum Kartenspiel einzufinden.
    In seiner Anwesenheit fühlte sich Emile Pencenat wieder wie ein Schüler. Er beeilte sich, zu seinem Stuhl an dem runden Tisch zu gelangen und sich wie jemand, den man endlich nicht mehr tadeln konnte, darauf fallen zu lassen. Der Morchelsammler warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.
    »Na, Emile, Sie haben ja ganz schön auf sich warten lassen! Waren Sie vielleicht mit der Mutter der Porzellankiste im Bett?«
    »Keineswegs, keineswegs, Monsieur Fondère! Es ist nur …«
    Er beendete den Satz nicht und tat so, als würde er Luft holen, um wieder zu Atem zu kommen, wie jemand, der sich beeilt hat, um niemanden warten zu lassen.
    Der Morchelsammler schürzte die Lippen angesichts des anzüglichen Gelächters, das sein Bonmot ausgelöst hatte. Wenn er lachte, was selten genug geschah, so tat er es geräuschlos und bot dabei den Anblick eines Skeletts mit langen gelben Zähnen. Er lachte übrigens nie offen im alltäglichen Leben. Wie ein störrischer Maulesel war er schreckhaft und besorgt beim geringsten Anzeichen von irgendetwas Ungewöhnlichem.
    Esprit Fondère. Hinter diesem gutbürgerlichen, Vertrauen einflößenden Namen steckte ein Mann mit einer bläulichen, merkwürdig pickeligen Nase, der unter einer Stirn wie aus frisch gebackenem Brot seine großen roten, ängstlichen Hasenaugen rollte.
    Er wohnte in einem von Schimmel befallenen, von Fliederbüschen halb erdrückten Häuschen an der Straße nach Digne, das nur aus zwei übereinander liegenden Räumen unter einem Walmdach bestand, auf dem das verrostete Banner einer Wetterfahne quietschte.
    Seitdem sie vom Postboten erfahren hatten, was dieses Häuschen enthielt, nämlich ein Feldbett, einen Tisch, drei Stühle, einen Gaskocher, vier Töpfe und zwei Koffer, nannten seine Mitbürger den Morchelsammler Prêt à partir – zum Aufbruch bereit.
    Er lebte von einer rätselhaften Rente, die ihm wahrscheinlich regelmäßig alle drei Monate bar an irgendeinem geheimen Ort ausgezahlt wurde. Das jedenfalls folgerten wir aus seiner zeitweiligen Abwesenheit.
    Der Grand Magne, der Busfahrer aus Seyne, erzählte, dass er ihm oft noch hinter Selonnet, manchmal sogar am Ortsausgang von Verdaches begegnet sei, ja dass er ihn dabei gesehen habe, wie er den Pfad zum Gipfel des Vernet hinaufgestiegen und in den Graben gesprungen war, um sich zu verstecken, sobald er ihn kommen sah. Einmal sei es ihm sogar so vorgekommen (da sei er sich aber nicht sicher), als ob er den Morchelsammler dabei überrascht habe, wie dieser hinter den großen Thujen des château des Pautrelles verschwand, hoch über den saftigen Weiden in Richtung Seyne.
    Wenn er von seinen kurzen Ausflügen zurückkam, beglich er sofort, was auf der Tafel der Grimaude und im kleinen Heft beim Lebensmittelgeschäft Gardon auf ihn angeschrieben war, mit seinen frischen, manchmal neuen, auf jeden Fall immer sorgfältig gefalteten Geldscheinen, die leicht nach getrocknetem Lavendel dufteten, wie ihn friedfertige Menschen hinten in ihre ordentlich gefüllten Wäscheschränke legen.
    Seine Augäpfel ließ der Morchelsammler ständig von einer Seite der Augenhöhlen zur anderen gleiten, als liege er auf der Lauer, als rechne er mit einem Schwall von Schlägen, der unerwartet auf ihn niederprasseln könnte. Je öfter wir ihn sahen, desto mehr erschien es uns, als ob ihm durch die ständige Angst merkwürdige Ohren wuchsen, spitz und zitternd wie die eines Hasen.
    Alle drei Monate ungefähr parkte ein Kleinbus der Gendarmerie jedes Mal mehr als eine Stunde lang vor dem fliederumsäumten Häuschen. Wir lauerten den Gendarmen immer beim Ausgang auf, wir versperrten ihnen wie versehentlich den Weg, wir stellten ihnen Fallen, um sie aufzuhalten; wir erzählten ihnen von gestohlenen Hühnern, von Füchsen mit zwei Beinen, von merkwürdigen Geräuschen in alten, leer stehenden Bauernhöfen. Kurz gesagt, wir taten, was wir konnten.
    Wie eine dickbäuchige Spinne versuchte die Grimaude vom Rand ihres Netzes aus, die Gendarmen mit vor Kälte beschlagenen Pastisgläsern in den angenehmen Schatten ihres Wirtshauses zu locken. Manchmal gingen sie darauf ein. Wenn sie dann dachte, sie habe die Polizisten fest im Griff,
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