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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift
Autoren: Pierre Magnan
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doch noch zu Kreuze kriecht.« An einem gewittrigen Tag war es schließlich so weit. Der Platzregen ließ Prudence an der Türschwelle stocken. Sie zögerte, auf die andere Straßenseite zurückzukehren; die Zigaretten hätten dabei völlig durchweichen können. Da kam Rose hinter ihrem Ladentisch hervor und brachte ihre üppigen Rundungen direkt neben der dürren Prudence zur Geltung.
    »Hör mal«, sagte sie sanft, »das war keine gute Idee von dir, deinem Alten diesen Spaß nicht zu gönnen. Ich hätte ihm da so einiges beibringen können, und du wärst vielleicht ganz zufrieden gewesen, wenn er es nachher mit dir gemacht hätte.«
    Prudence wandte sich ihr langsam zu und schaute ihr geradewegs mitten auf die Stirn. Dabei bemerkte Rose, dass sie sehr schöne mandelfarbene Augen und volle Lippen hatte, die wohl nie zu etwas anderem gut gewesen waren, als Suppe zu schlürfen. Und diese Lippen formten die folgenschweren Worte: »Und wenn du mir das alles selbst beibringen würdest?«
    Rose blieb mit offenem Mund stehen. Seit langem stellte sie mit Bedauern fest, dass ihren erotischen Erfahrungen, so bereichernd sie sein mochten, doch immer noch das gewisse Etwas fehlte; keine befreite sie von ihrer Melancholie. So kamen Prudences Worte wie ein Lichtblitz über sie. Bevor sie ausgeredet hatte, fingerte Rose schon hastig an dem Nagel, der die Klinke an der Glastür festhielt, und nahm die Klinke ab.
    Damals wurde ihr schlagartig klar, dass hinter Prudences strenger Stirn gut dreißig Jahre unerfüllten Begehrens stecken mussten. Wie ihre gebieterische Zunge sie halb erstickte, diese mageren, sehnigen Ziegenschenkel sie fest umklammerten! Prudence war es, die sie, die es bereitwillig geschehen ließ, nach hinten zur Bettnische zerrte und schubste. Dort machten sie denn ihre erste und überzeugende Erfahrung auf dem Gebiet der sapphischen Liebe. Was danach kam, war nur noch Stimmungen und Launen unterworfene Routine.
    So vertreibt man sich die Langeweile in diesen verschlafenen Dörfern. Denn hier wie anderswo gilt: »Man muss sich nur trauen!«
    Manchmal traut man sich zehn Jahre lang nicht, weil die Umstände nicht danach zu sein scheinen, aber wenn man erst einmal ins kalte Wasser gesprungen ist. dann schwimmt man auch und hält sich alle Befürchtungen mit wilden Freudenschreien vom Leibe. Kaum jemand hat wirklich etwas dagegen, es sei denn die Grabschaufler, doch die finden andere Wege, um auf ihre Kosten zu kommen.
    Emile Pencenat allerdings war keineswegs geneigt, das alles für ein Vergnügen zu halten, als er verwirrt auf den Brief starrte, den ihm das Schicksal in die Hände gespielt hatte. Er fragte sich, wie er ihn verschwinden lassen konnte, bevor Prudence ihn zu sehen bekam. Ihn einfach dorthin zurücklegen, wo er ihn gefunden hatte? Das Gewissen des ehemaligen Briefträgers sträubte sich dagegen, und ebenso hatte er Skrupel, ihn einfach im nächsten Gully verschwinden zu lassen. Schließlich gelangte er zu dem Schluss, dass die einfachste, vernünftigste und einleuchtendste Lösung des Problems darin bestand, den Brief der Post zur normalen Beförderung anzuvertrauen. Obwohl er natürlich nicht frankiert war.
    »Was heißt hier eigentlich ›natürlich‹?«, fragte sich Pencenat. » Natürlich wäre es doch eher, wenn der Brief frankiert gewesen wäre … Aber eigentlich kann mir das doch piepegal sein. Wenn die Prudence den entdeckt, kann ich mindestens eine Woche lang mein Bett selbst machen. Am besten einfach zerreißen. Und da könnte ich ihn ja vorher sogar lesen! Wissen, was drin steht! In einem Brief, der beim Friedhof eingeworfen wird, kann ja nur was Spannendes drin stehen …«
    Aber das schöne Wort Mademoiselle – voll ausgeschrieben – wirkte seiner aufkommenden Wurstigkeit entgegen. Ohne zu einem Entschluss zu kommen, hielt er den Umschlag zwischen den Fingerspitzen, als wollte er ein Sakramentshäuschen spazieren tragen. Dabei merkte er plötzlich, dass er inzwischen den steilen Friedhofsweg hinuntergegangen war, den Platz mit dem Denkmal des heldenhaften Frontkämpfers überquert hatte und direkt vor dem Postamt gelandet war. Er ging hinein.
    Die Félicie Battarel hat dann später erzählt – aber sie hatte ja genügend Zeit, sich alles vorteilhaft zurechtzulegen –, er habe sich wie ein Dieb durch die Tür gedrückt.
    »Wie einer, der nicht ganz bei sich ist«, sollte sie später sagen.
    Pencenat verlangte eine Briefmarke, klebte sie auf den Umschlag, verließ den Raum, um den Brief
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