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Der mieseste Liebhaber der Welt

Der mieseste Liebhaber der Welt

Titel: Der mieseste Liebhaber der Welt
Autoren: dtv
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Aufregung. Frau Herrmanns trug mit
     Vorliebe kurze Lederröcke, wie sie gerade in Mode waren. Mein Lieblingsrock bestand aus verschieden gefärbten, aneinandergenähten
     Lederquadraten, die an einer Seite nur durch eine senkrechte Reihe von Druckknöpfen zusammengehalten wurden. Ein fester Ruck
     an der richtigen Stelle und sie stünde im Freien. Nur
ein
Ruck. Das musste man sich mal vorstellen. Zu ihren Röcken trug sie meistens Lederstiefel, auch wenn es im Sommer zu heiß für
     Nylonstrumpfhosen war. Ich fragte mich, ob sie ihre Stiefel barfuß trug. (Ich fragte mich eine Menge, was Frau Herrmanns anging.)
     Außerdem hatte sie wohl eine Vorliebe für schwarze Schlüpfer, was ich aber nicht aus eigener Anschauung wusste. In dieser
     Hinsicht musste ich mich auf die Informationen verlassen, die Breuer und Backes regelmäßig beschafften, indem sie im Klassenzimmer
     in der ersten Reihe ihre Bleistifte zu Boden fallen ließen. Aber das kam für mich nicht in Frage, da spielte mir ein bisschen
     zu viel Verzweiflung mit. Außerdem stand ich in den Deutschstunden ohnehin schon genug unter Druck.
    Nachdem ich es – zur allgemeinen Überraschung – in die elfte Klasse geschafft hatte, konnte ich mir meine Schulfächer selbst
     aussuchen. Ich wählte den Deutsch-Leistungskurs. Das hatte nur am Rande mit Frau Herrmanns zu tun. Meine Möglichkeiten waren
     begrenzt. Mathematik und die Naturwissenschaften bereiteten mir gewisse Probleme. (Man könnte mit der gleichen Nonchalance
     behaupten, dass Gandhi gewisse Probleme mit dem Faustkampf hatte.) Meine Begabung für Fremdsprachen hielt sich ebenfalls in
     Grenzen.Mit dem kleinen Latinum rutschte ich gerade mal so bis in die Oberstufe durch, jetzt blieb nur noch ein bisschen Englisch
     übrig, das war’s auch schon. Aber um meine Schulkarriere machte ich mir keine großen Sorgen. Ich wurschtelte mich so durch.
     Nur Deutsch machte mir wirklich Freude. Ich las wie der Teufel.
    Keine Ahnung, woher das rührte. In unserer Familie machte man sich schon Gedanken. Die Stiltfangs waren
sportlich
, keine Kulturmenschen. Für Theater oder Literatur war in unserem Elternhaus wenig Raum. Alles, was mein Vater las, waren
     Möbelkataloge und Urlaubsprospekte, und meine Mutter bezog zwei Mal im Jahr Buchpakete aus dem Bertelsmann Club. Ich aber
     verbiss mich schon mit zehn Jahren in die abgelegten Hanni-AMPERSAN D-Nanni -Bände meiner Schwester und beackerte anschließend das gesamte Œuvre von Enid Blyton. Der Übergang ins Lager der
richtigen
Literatur wurde von Hesse, Kerouac und Salinger eingeleitet, auch wenn ich nicht sicher bin, dass ich damals schon alles verstand.
     Erst im Deutschunterricht bei Frau Herrmanns zahlten sich die einsamen Lektüreabende auf dem Sofa endlich aus. Mit ihr konnte
     ich über meine Lieblingsautoren diskutieren, von ihr erhielt ich den Tipp, mich mit Max Frisch zu beschäftigen oder den Katalog
     von Zweitausendeins nach preiswerten Büchern und Platten durchzustöbern. Irgendwann begannen Frau Herrmanns und ich, uns nach
     dem Unterricht immer noch ein paar Minuten zu unterhalten, so als ob sie eine Mitschülerin sei oder ich ein junger Kollege.
     Aus meiner harmlosen Schwärmerei wurde im Laufe eines einzigen Halbjahres so langsam eine ausgewachsene Obsession. Ich dachte
     rund um die Uhr an meine Deutschlehrerin.
     
    Es war eine merkwürdige Zeit. Wenn wir unter uns Jungs waren, machten wir all die Scherze, ohne die man üblicherweise in diesem
     Alter nicht über die Runden kommt:Sprüche darüber, was man mit der Alten im Bett anfangen würde und wie sich ihre Titten anfühlen würden und so ein Zeug. Halbstarkes
     Geschwafel, das sofort verstummte, wenn sich eine unserer pickeligen Mitschülerinnen sehen ließ. Auf der anderen Seite versuchten
     wir alles, um erwachsen zu wirken – und cool. Ich trug zu der Zeit eine schwarze Baskenmütze und eine kleine Rose im durchstochenen
     Ohrläppchen, ebenfalls in Schwarz. Meine Schulsachen transportierte ich in einem schwarz lackierten Werkzeugkoffer. (Das Ding
     war sauschwer und unpraktisch, aber eben ein todsicheres Alleinstellungsmerkmal.) Der Umstand, dass ich in Deutsch auf 14   Punkte abonniert war und mich ansonsten so
unangepasst
wie möglich verhielt, verschaffte mir in meiner Jahrgangsstufe eine gewisse Popularität. (Das relativierte die verächtliche
     Meinung meiner Mathelehrer, einen solchen Trottel wie mich hätten sie noch nie zu Gesicht bekommen.) Außerdem war ich in den
    
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