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Der mieseste Liebhaber der Welt

Der mieseste Liebhaber der Welt

Titel: Der mieseste Liebhaber der Welt
Autoren: dtv
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Nacht nach Hause kommen sollte. Gitta, meine
verantwortungslose Deutschlehrerin,
hatte mich einfach stehen lassen, und ich sah das als ein gutes Zeichen. Wir hatten noch ein wenig in der Kneipe gesessen
     und geredet, sie hatte mir von ihren Reisen nach Asien und Nordamerika erzählt und von ihrem Studium erst in Berlin, später
     in Aachen. Sie lebte immer noch in einer Wohngemeinschaft mit ein paar anderen Lehrern, die sie alle aus dem Studium kannte,
     und keiner von ihnen mochte seinen Job sonderlich, sie eingeschlossen. Ich erzählte ihr von meinen Plänen, nach dem Abi die
     Welt zu bereisen, ein Jahr oder zwei, mal sehen, wo es mich hintreiben würde. Wir sprachen über Musik, über Filme und Fernsehsendungen,
     über Blankenburg und die Notwendigkeit, nach dem Abi so schnell wie möglich hier rauszukommen. Als wir an einen Punkt gerieten,
     an dem fürs Erste alles gesagt zu sein schien, fragte Gitta mich, ob ich den »Dschungel« kennen würde. Tat ich nicht. Es stellte
     sich heraus, dass der »Dschungel« eine Mischung aus Kneipe und Diskothek in Richterich war, einem Vorort von Aachen, die sich
     auf unerklärliche Weise zum
Hangout
der Aachener Szene entwickelt hatte.
    »Lutz und Holger sind die beiden besten DJs der Stadt«, sagte Gitta, »wenn ich Urlaub von meinem Leben brauche, komme ich
     her und vergesse auf der Tanzfläche mal für einpaar Stunden, dass ich am nächsten Morgen um 7:45   Uhr vor einer Schulklasse stehen muss.«
     
    Nach Woody Allens ›Stadtneurotiker‹ war der »Dschungel« die zweite Erleuchtung an diesem denkwürdigen Abend. Ein schlauchiger
     großer Raum, der auf eine kleine Tanzfläche zulief; eine Theke gleich rechts am Eingang, das war’s auch schon. Aber die Atmosphäre
     in diesem Laden war alles, wonach ich suchte. Es passte einfach: der schmucklose, spärlich beleuchtete Raum mit seinen tiefen
     Decken, der richtigen Musik und den Leuten, die ich um mich haben wollte. Gitta bestellte zwei Altschuss und ein paar Treets
     für uns an der Theke, dabei hätte sie schon vor diesem Bier längst nicht mehr fahren dürfen. Wir wanderten ein wenig in dem
     Laden herum, hier und da grüßte sie in bekannte Gesichter. Unverkennbar, das hier war vertrautes Gelände für sie. Schon als
     wir die Tanzfläche erreichten, war ich sicher, dass ich nicht zum letzten Mal im »Dschungel« war. Gitta und ich standen ein
     paar Minuten wortlos nebeneinander und schauten uns die Tänzer an, irgendwann zog mich Gitta dann auf die spiegelnde Fläche,
     über der sich eine einsame kleine Glitzerkugel drehte. Es gibt immer einen Punkt an einem guten Abend in solch einem Laden,
     an dem ein paar perfekt aufeinander abgestimmte Stücke die Tanzfläche zum Brodeln bringen – und wo plötzlich auf ein paar
     Quadratmetern so viel Energie produziert wird, dass eine Kleinstadt damit eine Woche ihren Strombedarf decken könnte. (Danach
     spielt der DJ leider meistens ein, zwei ruhige Stücke, die ersten Leute verschwinden an die Theke und kleben dort fest, der
     Laden leert sich langsam und irgendwann ist es dann vorbei.) Steckt man aber mitten in diesem
Flow
, ist es, als würde man in einer Lavalampe schweben, eingebettet in die perfekten Klänge der Musik und die fast stoffliche
     Wärme seiner Umgebung. Wir erwischten so einen Moment, undals wir nach »Jumpin’ Jack Flash« von den Stones bei »Station to Station« von David Bowie angelangt waren und am Ende des
     zehnminütigen Tracks gemeinsam immer wieder »It’s too late« sangen und uns dazu im Takt wiegten, ganz nah beieinander, minutenlang,
     da waren wir endgültig nicht mehr Lehrerin und Schüler, sondern nur noch eine weitere Variante der guten alten »Boy meets
     Girl«-Geschichte. Leider kam dann nach »Station to Station« das langsame Lied (»Brown Eyed Girl« von Van Morrison), und es
     war klar, dass der Abend jetzt entweder vorbei sein würde, oder   … Oder was? Ich durfte nicht darüber nachdenken. Wenn ich darüber nachdachte,
wäre
es vorbei. Vorbei? Was genau wäre
vorbei
?
    Möglicherweise konnte man mir meine aufkommende Panik ansehen, denn Gitta nahm mich einfach in den Arm. Ein Mal, wenigstens
     EIN MAL versemmelte ich das mit dem Timing nicht. Wir schauten uns an, und dann ging es eben nicht ganz schnell, niemand wurde
     hier überrumpelt, es war kein Überfall, nein, hier wollten zwei Leute im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte (na ja, plus 1,0   Promille Alkohol vielleicht) das Gleiche. Ich beugte mich langsam
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