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Der mieseste Liebhaber der Welt

Der mieseste Liebhaber der Welt

Titel: Der mieseste Liebhaber der Welt
Autoren: dtv
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doch mit einer rührenden Aufrichtigkeit. Die Menschen dort träumten, liebten und litten
     auf eine beruhigend mittelmäßige Weise, und das in einem kulturellen Humus, um den ich jeden Einzelnen von ihnen beneidete.
     Ich saß mit rauchendem Kopf vor der Leinwand und zum ersten Mal in meiner noch jungen Karriere alsKinozuschauer schaffte es ein Film, mich in einen Zustand bedingungsloser Kapitulation vor den üblichen Zwängen und Konventionen
     meiner widersprüchlichen Existenz zu versetzen. Später lernte ich, dass die besten Filme (genau wie die guten Bücher) immer
     diesen mächtigen Impuls auslösen, das eigene Leben auf der Stelle ändern zu wollen. Daran erkennt man sie. Außerdem lernte
     ich noch, dass man nach dem Abspann erst mal die Klappe halten und abwarten sollte, bis die Euphorie nachlässt – was in der
     Regel dazu führt, dass man lieber doch so weitermacht wie bisher.
    An diesem Abend aber war ich beseelt von Woody Allen, ich glühte vor Energie und Ergriffenheit, vermutlich hatte ich sogar
     rote Bäckchen. Wir tranken alle in einer nahe gelegenen Studentenkneipe noch ein Glas Wein, diskutierten über Woody Allens
     bedingungslose Selbstfixierung und seine wunderbaren New-York-Bilder. Wir diskutierten darüber, ob es Menschen gibt wie Diane
     Keaton, die wirklich erst einen Joint rauchen müssen, um Sex haben zu können, und ich fragte geschwollen in die Runde, ob
     es möglich sei,
fehlende körperliche Attraktivität durch rhetorische Fähigkeiten zu kompensieren
. Meine Lehrerin antwortete mit einem Satz, der mich noch lange beschäftigen sollte.
    »Markus, wenn du wissen willst, ob du Frauen ins Bett quatschen kannst, dann musst du dich nur mal mit der Geschichte der
     Studentenbewegung beschäftigen!« Dazu lachte sie vergnügt, offenbar wusste sie in dieser Hinsicht ein paar Dinge mehr als
     ich. Die Grenzen zwischen Lehrer und uns Schülern waren nun endgültig aufgehoben. Als die drei letzten Mitschüler sich verabschiedeten,
     um den letzten Bus zurück nach Blankenburg zu erreichen, blieb ich einfach bei Frau Herrmanns sitzen. Sie streifte mich nur
     mit einem unergründlichen Blick. Wir bestellten noch einen Wein und ich erzählte davon, dass ich mir manchmal wie Woody Allen
     vorkäme.
    »Du meinst, klein und hässlich?«, spottete meine Lehrerin.
    »Nein, aber unfähig auszudrücken, wer ich wirklich bin!«
    Frau Herrmanns lachte laut auf.
    »Meinst du wirklich, das könntest du in deinem Alter schon wissen?«
    Ich werde nicht gerne ausgelacht und es führt in der Regel dazu, dass ich verstumme wie ein Goldfisch. Aber nicht an diesem
     Abend, nach dem ›Stadtneurotiker‹ und zwei großen Gläsern Wein.
    »Vielleicht noch nicht so genau, aber ich könnte ja versuchen, schon mal ein paar Zwischenergebnisse zu kommunizieren.«
    Wieder lachte Frau Herrmanns auf, aber diesmal schwang neben ihrem milden Spott auch ein bisschen Neugier mit.
    »Welchen Teil deiner Identität würdest du denn in der Öffentlichkeit gern ausführlicher präsentieren?«, fragte sie. »Gibt
     es da irgendwas, das man wissen müsste?«
    »Möglicherweise«, antwortete ich in ebenso lässigem Ton und schaute ihr frech in die Augen, »aber dafür muss man sich schon
ernsthaft
interessieren.«
    Und weil der Abend funkelte und ich inzwischen das Gefühl hatte, dass gerade wirklich
alles
ging (danke, Woody Allen), stellte ich auch noch gleich eine Frage hinterher.
    »Wie ist eigentlich Ihr Vorname?«
    Frau Herrmanns (und das war das letzte Mal, dass ich
Frau Herrmanns
dachte, wenn ich sie ansah) schaute mich zweifelnd an, bestimmt zwei, drei Sekunden.
    »Ich bin Gitta, eigentlich Brigitte«, antwortete sie schließlich leise lächelnd, »aber ich würde es vorziehen, wenn du mich
     in der Schule weiterhin siezen würdest.«
    Es war unnötig, darüber noch ein Wort zu verlieren.
    »Gitta«, wiederholte ich und sah sie weiter unverwandt an, »ich bin Markus!« Dazu reichte ich ihr meine Hand,wie ein Hotelportier einem Gast die Tür aufhält – in einer parodistischen, gleichwohl formvollendeten Weise auf einem schmalen
     Grat zwischen Ehrerbietung und Rollenspiel.
    »Sehr erfreut!«, ging Gitta (GITTA!) auf meinen Spaß ein und nahm meine Hand. Ich schätze, das war das erste Mal, dass ich
     meine Deutschlehrerin berührte.
     
    Drei Stunden später stand ich mit einem breiten Grinsen in einem kleinen Ort in der Nähe von Aachen auf einer verlassenen
     Durchgangsstraße und hatte keine Ahnung, wie ich in dieser
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