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Der Meisterdieb

Der Meisterdieb

Titel: Der Meisterdieb
Autoren: Hans Kneifel
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den letzten Tagen hilfreich und zuvorkommend gezeigt. Dass aus einem Gegner ein Freund geworden sein sollte, das vermochte nicht einmal Mythor ernsthaft zu glauben. Trotzdem lächelte er Kalathee an und sagte: »Ich denke, jeder von uns hat echte Möglichkeiten, der Sohn des Kometen zu werden.«
    »Die Großen werden entscheiden«, fügte Luxon hinzu. Wieder blickte Kalathee voller Unsicherheit von einem der beiden Männer, die sich so erstaunlich ähnlich waren, zum anderen.
    »Und bis dahin ist wohl noch Zeit«, knurrte Sadagar. »Wann soll dein Gastmahl stattfinden, Luxon?«
    »Irgendwann in zwei Stunden. Kommt mit mir zur Terrasse!« bat Luxon.
    Der Tag war ziemlich heiß, aber in den Räumen herrschten Kühle und Halbdunkel. Auf der kleinen Terrasse bewegte ein kühler Wind, der von der Strudelsee herkam, die Blätter der wuchtigen Bäume. Tische und Sessel, die aus Rohrgeflecht und hellem Stoff bestanden, befanden sich im Schatten der ausladenden Äste. Die Palastsklavinnen brachten Krüge voller kalter Getränke, die fruchtig schmeckten und auf der Zunge perlten. Die Gäste und Luxon ließen sich in den Sesseln nieder.
    »Ich bin, musst du wissen«, wandte sich Luxon an Kalathee, »in mich gegangen. Ich habe lange hin und her überlegt.«
    »Und was haben deine Überlegungen erbracht?« wollte sie leicht gereizt wissen.
    »Ich finde, dass sowohl Mythor als auch ich, jeder auf seine Art, noch zum echten Sohn des Kometen werden können. Ich bringe zweifellos viele Voraussetzungen mit, denn ich kenne die Welt mindestens ebenso gut wie Mythor. Trotzdem will ich die Großen entscheiden lassen.«
    »Was bedeutet das für mich?« fragte Mythor ruhig.
    »Du musst dein Versprechen geben, ebenso, wie ich es gebe, dass jeder von uns sich der Entscheidung der Großen beugen wird. Wie immer sie ausfallen mag.«
    »Ich habe wohl keine andere Chance«, murmelte Mythor.
    »Wohl kaum. Du hast mindestens die gleiche Chance wie ich. Ohne die wunderbaren Zauberwaffen sind wir uns ähnlicher, als es den Anschein hat. Auch unsere Lebensgeschichten sind einander sehr ähnlich.«
    »Ich kenne meine eigene kaum«, knurrte Mythor finster. »Und an deiner Geschichte wird manches falsch und verwirrend sein.«
    »Mag sein«, sagte Luxon mit strahlendem Lächeln. »Aber du wirst es hören und erkennen müssen: Mein Leben war voller Gefahren und Aufregungen. Zuerst aber müssen wir sicherstellen, dass keiner von uns mächtiger ist.«
    »Nadomir! Wie soll das vor sich gehen?« wunderte sich Sadagar.
    »Indem wir die wunderbaren Waffen und selbst das Orakelleder in der Schatzkammer meines Palasts verstecken. Die Tür hat zwei Schlösser. Jeder von uns bekommt einen Schlüssel. Keiner kann die Tür ohne den anderen öffnen.«
    »Das ist reichlich kühn!« sagte Mythor verblüfft. »Wozu dieses Spiel?«
    »Es ist kein Spiel«, wiederholte Luxon mit ernstem Gesicht. »Weit gefehlt, Mythor. Aber wenn wir uns der Entscheidung der Großen stellen, müssen wir gleich stark oder gleich schwach sein.«
    Sadagar schüttelte den Kopf und brummte: »Die Welt ist voller Unsicherheit, Lüge und Verblendung. Du wirst sicher verstehen, Luxon, dass wir nicht jedes Wort glauben, das aus deinem Mund kommt. Ich weiß, wie oft Mythor von dir getäuscht wurde. Ich werde aus diesem Grund in der Dunkelheit der Nacht den Kleinen Nadomir anrufen und um Rat bitten.«
    Luxon machte eine wegwerfende Handbewegung und entgegnete höflich: »Sein Rat wird sein, meinem Vorschlag zu folgen.«
    Sadagar traute anderen Menschen ebenso wenig, wie er von ihnen erwartete, dass sie ihm glaubten. Seine Gedanken waren keineswegs rein und lauter. Aber er war sehr unsicher, was die beabsichtigte Anrufung des Nadomir betraf. Und das Vorhaben Luxons, Mythors Waffen wegzuschließen, erschien ihm als die Krönung aller schändlichen Täuschungsversuche. Noch waren der Helm der Gerechten und die anderen Waffen im Besitz Mythors – noch hatte sich sein Freund nicht entschlossen.
    Luxon winkte, und die Sklavinnen begannen, Becher, Teller und Schalen aufzutragen. Luxon stand auf, ging an die Brüstung der Terrasse und warf einen langen Blick auf die tiefer gelegenen Bezirke Sarphands.
    »Diese Stadt«, sagte er schließlich, »ist mein Schicksal. Hier wuchs ich auf, hier lernte ich jeden Stein kennen. Sarphand und seine Sitten und Schicksale haben mein Leben bestimmt und meinen Charakter geformt.«
    Plötzlich schien sich Luxons Wesen vollständig geändert zu haben. Er wirkte ernst und
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