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Der Mantel - Roman

Der Mantel - Roman

Titel: Der Mantel - Roman
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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wenig.«
    Schmidt war sich nicht sicher, ob das Zustimmung bedeutete oder Diplomatie.
    »Lasst uns später reden und jetzt hineingehen«, schlug seine Mutter resolut vor. Sie drängten sich mit den festlich gekleideten Leuten durch die Tür zum Parkett, wo sie gute Mittelplätze hatten. Schmidt war vorangegangen, seine Mutter folgte ihm unmittelbar. So war sie von den beiden Männern, die so viel für ihr Leben bedeuteten, eingerahmt. Die Befriedigung war ihr anzusehen. Eine immer noch attraktive Frau, mit kerzengerader Haltung, einem schmalen Körper und einer Blässe, die von ihrem schwarzen Haar unterstrichen wurde. Sie legte ihre beringte Hand kurz auf die seine. Er schielte herunter. Sie trug den Ehering noch. Sein Auge wanderte weiter, er lehnte sich etwas vor, um ihre rechte Hand zu sehen. Sie ruhte auf der kurzen Lehne. Hätte sie mit der anderen Hand die Reihe zu Tomas´ geschlossen, er hätte ihr seine Hand entzogen.
    Die Ouvertüre war wunderschön: erzählerisch und voller musikalischer Vitalität. Doch Schmidts Gedanken waren woanders, wanderten zwischen Shiva und dem Opernsaal hin und her. Es war nicht leicht, diese reichhaltige Musik zu genießen. Hätte er bei seinem Hund bleiben sollen? Und was machte er hier, in der von seiner Mutter so schlau aufgebauten Falle? Der Zwangszusammenführung mit seinem Vater. Zudem auf dessen Territorium, der Oper. Er wusste, er musste sich irgendwann mit ihm befassen. Aber nicht jetzt. Und nicht in dieser peinlichen Weise, initiiert und beobachtet durch seine Mutter. Er spürte, wie sehr ihn diese Inszenierung gegen Tomas´ aufbrachte. Er wollte gleichwohl diesem Reflex nicht erliegen.
    Das Russische klang harmonisch. Das Gespräch zwischen den Frauen vor dem Gut in der Provinz, der Wechselgesang mit seinen ineinandergeflochtenen Überlagerungen lenkte ihn wieder ab von seinem Groll. Wie aufgeblasen und selbstverliebt Eugen Onegin prahlte. Und doch ging ihm die feingeistige, introvertierte Tatjana ins Netz, ein Mädchen vom Lande, voller Phantasien von anderen, größeren Welten. Sie gab sich schließlich dem weitgereisten Gesellschaftshelden hin. Ihr Brief, in nächtlichem Fieber ihrem Sehnen abgerungen, ihr nach außen gekehrtes filigranes und verletzliches Inneres würde der Überlegene mitleidslos verwerfen. Schmidt war berührt, auch weil er wusste, dass im dritten Akt Onegin es sein würde, der um Liebe und Beachtung flehen würde.
    Plötzlich schoss ihm Franz durch den Kopf. Nein, Franz war kein polyglotter, dandyhafter Jetsetter gewesen, als er Sabine kennenlernte. Eher der biedere Prototyp des bayerischen Jungkarrieristen. Aber seine Wirkung auf das niederbayerische Provinzmädel musste dem von Onegin auf Tatjana geglichen haben. Und dann passte alles: Die Zurückweisung, wie Franz sie mit dem Kind verstieß. Die Jahre der Distanz. Bis er sie wieder zu entdecken meinte. Weil sie inzwischen ein eigenes, gereiftes Leben hatte. Was ihn nun beeindruckte.
    Schmidt versuchte sich von den sich aufdrängenden Gedanken zu lösen. Und doch war da noch etwas: eine Endlosschleife seines Gehirns, die nicht aufhörte, sich mit Sabine zu befassen.
    Die Musik erreichte ihn in Intervallen, zwischen denen er seinen Gedanken nachhing. Es schien ihm nicht lange gewesen zu sein, und der Vorhang fiel unter großem Beifall. Es gelang den dreien mit Mühe, sich zur Bar der Oper im Untergeschoss durchzuschlängeln. Schmidt kam es nicht ungelegen, dass sie sich für den Kampf um einen Platz an den Stehtischen und der langen Schanktheke trennen mussten.
    Aber schließlich standen sie zusammen und prosteten einander zu. Schmidt, um die Initiative zu ergreifen, fragte Tomas´, wie es ihm als größtem Kenner am Tisch gefallen habe?
    »Ich will niemandem vorgreifen, aber die Musik ist wunderbar klar und rein gespielt. Eugen Onegin ist eine große Stimme. Nur Lenski überzeugt mich nicht so.«
    Schmidt grinste: »Das kostet ihn ja schon im nächsten Akt das Leben, oder?«
    Tomas´ schaute ihn leicht indigniert an: »So kann man das natürlich auch sehen. Hast du noch so witzige Anmerkungen?« Seine Verärgerung war hörbar.
    Schmidt drehte sich weg von ihm und sagte deutlich hörbar, soweit das im Lärm und der Menschentraube möglich war: »Regine, wie findest du es bisher?«
    Seine Mutter verzog etwas das Gesicht und erwiderte: »Du kannst mich auch heute wie seit fünfzig Jahren Mama nennen.«
    Er tat unschuldig: »Verzeih. Ist mir so rausgerutscht.«
    Kaum hatte er es gesagt, errötete
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