Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mantel - Roman

Der Mantel - Roman

Titel: Der Mantel - Roman
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
Vom Netzwerk:
Jahre hinweg, und auf engstem Raum, ignoriert. Was also durfte er jetzt von ihr erwarten? Sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Aber das war doch alles aus einer amerikanischen Familiensaga. Die Bedeutung, die Schmidt ihr zumaß, schien mit jedem ungeeigneten Aspiranten weiter zu steigen. Franz! Was war nur in den gefahren? Als hätte er das unfehlbare Rezept für ein familiäres Mehrfachdesaster entdeckt. Was war nur in seiner Familie los, die von außen so klar geführt und bürgerlich daherkam? Oder war im innersten Kern jede Familie so zerklüftet? Eine Festung mit verschlossenen Kammern, unentdeckten Kellern und unsichtbaren Verliesen. In denen sich Dinge abspielten, die das ganze Gebäude zum Einsturz bringen konnten. Und das aus geheimnisvollen Gründen in den meisten Fällen nicht taten. Weil die Gravitation einer solchen Konstruktion erst einmal bestandserhaltend wirkt.
    Am folgenden Morgen nahm Schmidt seinen Mut zusammen und ging rüber in das Zimmer der Graseder. Doch sie machte keine Miene, ihn auf sein gestriges Treffen mit Franz anzusprechen. Darüber erleichtert, fragte er sie, ob sie heute vielleicht bis Mitternacht bei Shiva bleiben könnte. Er sei in die Oper eingeladen. Von seiner Mutter. Ja, richtig, erstmalig seit langer Zeit. Die Graseder zögerte, antwortete dann, dass sie sehr gern diese Aufgabe übernommen hätte, aber an diesem Abend bereits selbst eine Verabredung habe. Ob er es Fabian erlauben würde? Er würde sich so freuen. Das wisse sie. An Fabian hatte Schmidt nicht gedacht. Vielleicht, weil er so gelitten hatte, Shiva so zu sehen. Die Graseder meinte, Fabian sei doch sehr erwachsen. Und er hänge so sehr an Shiva. Sie würde es ihm zutrauen. Es sei auch sehr gut für ihn. Denn es könnte – sie suchte dabei nach den richtigen Worten – es könnte für ihn ein Abschied sein. Schmidt konnte sich diesen Argumenten nicht entziehen. Nur was das wieder für eine Einladung sein sollte, wichtiger als Shiva, der ihr doch auch viel bedeutete? Er ärgerte sich über diesen Gedanken.
    Was Schmidt nicht wissen konnte, war, dass Sabine Graseder ihm um ein Haar nachgegeben hätte. Sie hatte sich mit ihrer Freundin zum Schwimmen sowie anschließendem Saunen und Drinks im Müller’schen Volksbad verabredet. Das wunderbare Jugendstilbad mit seinem elegischen Ambiente war ritueller Begegnungsort für ihre langen Frauengespräche, die sie in unregelmäßigen Abständen mit ihrer Freundin abhielt. Als vielbeschäftigte Managerin in einer sehr guten Werbeagentur war Petra fast nie da. Wenn es einmal klappte, dann ging es meist um deren irrlichternde Liebesbeziehungen mit Männern, die fast immer verheiratet waren und mindestens zwei Kinder hatten. Irgendwie toll, aber gebunden. Dann war sie, Sabine Graseder, für Petra die Ratgeberin, der Fels in der Brandung. Nun aber sehnte sie sich nach der raren Begegnung, weil sie selber erzählen musste. Ihre gelegentlichen Bettgeschichten hatte sie der anderen nie mitgeteilt, da ihnen im Vergleich zu Petra die Dramatik der existenziellen Missgriffe mit nicht besonders geradlinigen Helden fehlte. Aber nun hatte sie ein richtiges Dilemma. Das Drama eines Antrags, den sie unverhofft, blumig und umwunden erhalten hatte. Und die Tragik eines weiteren Antrags, der ihr allerdings nicht einmal gemacht worden war. Den sie aber seit Jahren eher unbewusst erhofft hatte, tief vergraben in ihrem Herzen.
    Schmidt beließ es dabei: Keine weitere Diskussion, dachte er und machte sich mit Shiva auf den schweren Weg zum Arzt. Der schüttelte den Kopf, nachdem er den Hund überall abgetastet hatte. Dafür musste er ihn mit einer Spritze beruhigen. Die Schmerzen des intensiven Betastens hatte der Hund nicht ausgehalten. Er schaute mit weichen, flehentlichen Bernsteinaugen sein Herrchen an. Seine Nase war nass.
    Der Arzt richtete sich auf: »Das ist gegen meine Erwartung nun sehr schnell vorangeschritten. Den Gewebebefund kennen Sie ja. Die Metastasen haben sich über seinen ganzen Körper ausgebreitet. Der Hund muss sehr leiden. Schläft er ruhig?«
    »Zwischendurch winselt er immer und zuckt heftig. Ich habe ihm schon länger abends mehr von dem Schmerzmittel ins Futter gegeben, als Sie verschrieben haben.«
    »Aber er läuft noch, er verrichtet seine Notdurft?«
    »Alles angestrengt, manchmal extrem beschwerlich. Aber generell ja.«
    »Das kann nun ganz schnell gehen. Wenn ich ehrlich bin, es ist ihm fast zu wünschen.« Der Arzt streichelte dem Hund anteilnehmend über den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher