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Der Mantel - Roman

Der Mantel - Roman

Titel: Der Mantel - Roman
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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Straßen zur Isar. Er hat sich gut vorbereitet. Auch wenn sein bayerischer Filzhut schon durchweicht ist, leitet er das Regenwasser, das sich in der Krempe sammelt, in einem kleinen Bach auf das leichte Nyloncape über seinen Schultern ab. Von dort läuft es in dünnen Rinnsalen in die Falten des Überwurfs hinunter. Sein grüner Mantel, wie der Hut ein Erbstück seines Vaters und darum etwas zu groß, saugt das Wasser auf. Nicht ein Tropfen läuft in die Gummistiefel, die kaum unter dem knöchellangen Mantel hervorschauen. Einen Tag hatte es Schmidt gekostet, alles vorzubereiten. Auch den Gang zu machen, mit dem er sein Vorgehen im Einzelnen sondierte. Große Wolken zogen sich zu einer mächtigen Wand zusammen. Umso sicherer, wenn es regnet, nur, dass ich unentdeckt bleibe. Als die Grube zu seiner Zufriedenheit ausgehoben ist, richtet sich Schmidt langsam auf. Es kommt ihm vor, als ob das ihn umgebende Schwarz inzwischen einem dunklen Grau gewichen ist. Ein Blick auf die Uhr sagt ihm, dass es bald fünf Uhr ist. Nun steht er aufgerichtet vor der leeren Grube. Er blickt um sich. Ja, hier wird niemand Shiva stören. Er blickt entschlossen auf den Seesack. Bei Morgengrauen ist der Stadtpark öde, denkt er erschöpft. Das Loch vor ihm ist tief genug. Den Spaten wirft er beiseite. Er steigt aus dem Loch und hebt vorsichtig den schweren Seesack an. Ordnet, glättet den Sack. Er fühlt den großen Schädel, die Beine. Er kommt ihm noch schwerer vor. Er tritt mit einem Fuß in das Loch. Dann hebt er den Sack herein. Die Wirbelsäule müsste jetzt an seinem Fuß liegen. Er faltet das restliche Stoffmaterial über dem Körper, als wollte er den Sack schließen. Mit dem Handrücken wischt er eine Träne von der Wange. Er steigt aus dem Loch. Bleibt einen Moment in stiller Andacht reglos stehen. Dann legt er, einer Eingebung folgend, das Regencape ab. Er fischt Schlüssel, Zigarillos und Feuerzeug aus der Manteltasche, verstaut alles in der Hose. Er nimmt den regenschweren grünen Mantel von den Schultern, hält ihn mit beiden Händen vor sich. Der große Mantel. Das Erkennungszeichen seines Stiefvaters. Er schaut ihn lange an. Dann faltet er ihn und legt ihn sorgsam auf den Seesack. Nun verlässt er die Grube zum zweiten Mal. Er hängt sich das Nyloncape wieder um.
    Der Spaten sticht in den aufgeworfenen Erdhaufen. Die erste Ladung landet langsam geworfen auf dem Mantel, als könnte er etwas verletzen. Auch die zweite Spatenfracht wirft Schmidt behutsam in das Loch. Dann treibt ihn der Anblick der riesigen Menge Erde zur Eile. Er denkt nicht mehr, er rackert in einer letzten großen Anspannung seiner erschöpften Kräfte. Nun schiebt er das Erdreich zurück in Shivas Grab. Bald sind Mantel und Seesack bedeckt, Schmidt will beides nicht mehr sehen. Tief gebückt schaufelt er weiter, schließt, was er geöffnet hat. Rasch füllt sich das Loch. Doch Schmidt sieht, dass der Erdhügel nicht im selben Maß abnimmt. Während er atemlos schaufelt, überlegt er, wie er die locker in die Vertiefung geworfene Erde verdichten kann, um seinen Aushub zu beseitigen. Er kann unmöglich hineinsteigen und alles auf dem Hundeleichnam festtrampeln. Er drückt mit dem flachen Spaten auf die wieder eingefüllte Erde. Das hilft kaum. Weiter schippt er Erde, bis das Niveau des Waldbodens fast erreicht ist. Das Grau wird heller. Mit einem leisen Fluch tritt er schließlich die gerade zurückgeschobene, dunkle Masse fest. Ein leises Knirschen meint er zu vernehmen. Nein. Das kann nicht aus dem verschütteten Seesack kommen. Es muss der lehmige Matsch sein, durchsetzt mit Steinen.
    Viel Platz ist damit nicht geschaffen. Er schiebt noch Erde nach. Dann packt er einen nach dem anderen die ausgestochenen Placken der Grasnarbe und legt sie auf, bis das Grab bedeckt ist. Er tritt alles fest und verteilt die übriggebliebene Erde weitläufig um sich herum. Schwer atmend tritt er zwei Schritte zurück und betrachtet sein Werk. Fast unauffällig hat er den Boden vor dem großen Baum wiederhergestellt. Er muss an Karls Grab denken. Der ausladende Baum, der ihn in dieser Nacht geschützt hat, ist würdiger als ein Grabstein, aber ein Teil von Karl ist nun hier bestattet. Und statt Trauermusik hört er nun morgendliches Vogelgezwitscher aus vielen Bäumen.
    Schmidt nimmt den Hut von dem Aststumpf und drückt ihn sich auf den Kopf. Kühl und nass, beruhigend. Er schaut hoch in den konturlos grauen Himmel, dessen Helligkeit den Morgen schon angekündigt hat. Vögel
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