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Der Mantel - Roman

Der Mantel - Roman

Titel: Der Mantel - Roman
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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gewohnte Umgebung, der Schnaps und die Abwesenheit von Stressmomenten halfen ihm, wieder klar zu werden.
    Er zahlte und ging nach Hause.
    Die Wohnung lag im Halbdunkel. Schmidt ging auf Zehenspitzen mit bis zum Hals schlagendem Herzen den Flur entlang bis zum beleuchteten Wohnzimmer. An das große Sitzkissen angelehnt saß der Junge, die Schultern nach vorn gefallen, der Kopf auf die Brust gesunken. Auf seinem Schoß lag halb der Hund. Hals und Kopf bedeckten seinen Unterleib. Shivas Kopf war seltsam überdehnt, das Maul schaute nach oben. Sein Rumpf war an Fabians Oberkörper geschmiegt, die Wirbelsäule zeichnete seinen Brustkorb nach. Die Beine hatte er ausgestreckt wie Fabian die seinen, ein sechsbeiniges Wesen. Fabians eine Hand ruhte auf dem Teppichboden, die linke lag wie beschützend auf Shivas aufgedunsenem Unterbauch. Schmidt fasste den Hund nur selten da an. Er hatte Angst, ihm Schmerzen zu bereiten. Aber mehr noch fürchtete er sich vor den Beulen des Bösen. Er wollte sie verdrängen. Sie anzufassen hieß, sie anzuerkennen. Und ihr zerstörerisches Wachstum zu bezeugen. Beides konnte Schmidt nicht. Also schaute er nur jeden Tag kurz, ob er eine Veränderung sehen konnte. Aber er vermied den haptischen Kontakt. Als ob ein tödlicher Infekt von diesen bösartigen Geschwülsten ausginge. Hier stand er nun und sah Fabian eben dieses Zentrum der Zerstörung wie ein handauflegender Heiler bedecken. Ohne Furcht und Hemmung. Und der Hund schlief, trotz der Hand auf seinem druckempfindlichsten Punkt. Schmidt stand wie angewurzelt.
    Als er zurückweichen wollte in den Flur, schlug der Junge die Augen auf und hob langsam den Kopf. »Hallo Ulrich«, murmelte er schlaftrunken. Der erwiderte leise: »Willst du hierbleiben? Sonst ruf ich dir ein Taxi. Kannst aber auch auf der Couch schlafen. Dann gehst du halt morgen später in die Schule.« Fabian schaute auf den ergeben über ihn hingegossenen Hund und sagte leise: »Ich würde gerne hierbleiben. Die Couch reicht, brauchst nichts machen.« Ganz vorsichtig begann er, den Hund zu streicheln. Der stöhnte wie mit einem Stoßseufzer, bevor er langsam zur Seite abrollte. »Wie war es?«, fragte Schmidt. »Schön. Wir waren Gassi. Das hat lange gedauert. Dann haben wir hier gespielt. Er hat nur einen Teil vom Futter genommen. Er ist schrecklich krank.« Nun war die Stimme des Jungen dunkel vor Schmerz.
    »Danke dir. Das hast du toll gemacht. Du gehst jetzt gleich schlafen. Sollen wir deine Mama anrufen, wenn du hierbleibst?«
    »Hab ich vorhin schon gemacht.«
    »Gut.« Sie trugen den großen Hundekorb neben die Couch und gingen zu Bett. Als Schmidt das Licht im Wohnzimmer löschte, hing Fabians Hand von der Couch herunter. Die Finger ruhten auf Shivas wuchtigem Schädel.
    Die Verabschiedung am folgenden Tag nach einem kurzen Spaziergang zu dritt war lang. Der Junge hatte alle Schutzmechanismen abgelegt und weinte, den Hundekopf im Schoß. Shiva schaute ihn an, als wollte er ihn beschwichtigen.
    Die folgenden Tage gehörten nur noch dem Hund. Schmidt sagte die Termine ab, soweit das möglich war, vertröstete auch Wimmer. Sabine Graseder schirmte ihn ab. Sie traf sich mit Wimmer zu Besprechungen außerhalb der Wohnung. Die Themen stimmte sie vorher mit Schmidt ab. Er spürte seine Assistentin nun so eng an seiner Seite, dass er nicht einmal Anstoß daran nahm, dass sie sich fast täglich mit Wimmer in Cafés traf. Die neue Vertrautheit bedurfte keiner Gesten und Signale.
    Er selbst versuchte, sich mit Aktenstudium und Schriftsätzen abzulenken. Aber er war ständig bei Shiva, der oft im Schmerz leise winselte. Dann versuchte Schmidt ihn mit Schmerztabletten ruhig zustellen. Der Hund verlor jedoch zusehends Appetit. Es kam ihm so vor, als wäre nun auch die Maske eingefallen und fahl. Nur die Geschwülste am Bauch und Unterleib wuchsen ungehemmt. Sie schienen die Muskeln auf dem Rücken, an den kraftvollen Läufen und dem unbeugsamen Nacken auszuzehren. Als vereinnahmte die wütende Krankheit sein Vitalkapital, als risse sie seine Muskeln langsam herunter vom Skelett, um sie der boshaft triumphierenden Missbildung einzuverleiben.
    Der Hund spürte die Veränderung und ergab sich ihr. Schmidt wusste, Shiva hatte aufgegeben. Er wollte ihm nicht zur Last fallen, das nahm er ständig wahr. Er wollte die Treppen gehen. Als er dafür zu schwach wurde, versuchte Schmidt, ihn mit einer großen Sporttasche, die er nie brauchte, auf und ab zu tragen. Schon zwei Tage später machte
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