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Der Mantel - Roman

Der Mantel - Roman

Titel: Der Mantel - Roman
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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Letzte seiner Art? Woher hat er seine Nummer? Vor allem, warum hat er sie gewählt, nach fünfzehn Jahren, in denen sie keinen Kontakt mehr miteinander hatten?
    Der andere schien amüsiert: »Hat es dir die Sprache verschlagen? Weißt du nicht mehr? Die Diskussionen über den Eigentumsbegriff und die politischen und juristischen Begründungen für eine weitreichende Enteignung aller Schlüsselindustrien?«
    Schmidt musste etwas antworten. Die Gründe dieses Telefonats ließen sich herausfinden. Aber Gutes konnte der Anruf kaum bedeuten: »Ali, klar, hab dich erst nicht recht verstanden. Mann, was macht der Klassenkampf?« Er versuchte es mit einem halbherzigen Scherz.
    Dem Anrufer ging es aber um etwas anderes: »Schon lange ausgekämpft. Ich war jetzt ein paar Jahre in Goa. Bewusstseinserweiterung am Strand. Egal, erzähl ich dir später. Wir müssen uns sehen.« Was wie ein Nachsatz klang, fühlte sich an wie der Kernsatz des Anrufs.
    »Oh, im Moment bin ich so zu mit Arbeit. Sagen wir in ein, zwei Wochen, da könnte es gut passen«, versuchte er auszuweichen. Vergeblich. Sie trafen sich schon am folgenden Tag in einem bayerischen Lokal im Lehel, dem alten Bürgerviertel von München, eine seiner Stammkneipen. Schmidt kam sich mit seinem Gast reichlich seltsam vor. Es war zum Glück am Frühnachmittag und keiner seiner Bekannten war zugegen. Sein früherer Kommilitone trug ausgewaschene Leinenklamotten, die unförmig an ihm herunterhingen. Das dünne schulterlange Haar schaute unter einer roten, offenbar selbstgestrickten Mütze hervor. Das Gesicht war sonnengebräunt und schmal mit tiefen Falten um den angespannten Mund.
    Schmidt fragte sich, ob sein eigenes Erscheinungsbild, unauffälliger hellbrauner Anzug, Krawatte, dieselbe Überraschung für den Studienfreund bereithielt. Der ließ sich jedenfalls nichts anmerken, war sofort auf seinen Tisch zugesteuert. Nicht so schwer in einer fast leeren Kneipe. Erst da fiel sein Blick auf den kleinen Hund, den Albrecht an einer Leine mitführte. »Shiva«, stellte Albrecht ihn vor und setzte sich.
    Albrechts Geschichte war schnell erzählt. Abbruch des Jurastudiums – da hatten sich ihre Wege getrennt. Danach Arbeit für eine linke Zeitung. Der erste Besuch in Indien hatte ihn nach Kalkutta, Kapitale des linken Journalismus in Indien, geführt. Dann Richtungswechsel, Beschäftigung mit Hinduismus und indischer Mythologie. Schließlich war er nach Goa gezogen und hatte sich nach einigen Episoden von Strandboheme, westlichen Frauen und östlichen Drogen einem Guru angeschlossen. Zuletzt war er einer Deutschen zurück in die Heimat gefolgt. Erleuchtung konnte man schließlich überall finden. Aber nicht so eine perfekte Partnerin, hatte er gedacht.
    Shiva war ihnen am Strand zugelaufen. Ein winziger Welpe, Herkunft und Rasse unbekannt. Sie hatten ihn nach dem am stärksten verehrten Gott des Hinduismus benannt. Später sollte sich Schmidt oft fragen, ob damit auch seine besondere Rolle als Schöpfer und Zerstörer gemeint war. Albrechts Freundin hatte darauf bestanden, dass der quirlige Findling mit nach Deutschland kommen sollte. Nach einem verbissenen Papierkrieg in Indien und Deutschland war Shiva nun da. Nur hatte sich seine Herrin, kaum zurück in Deutschland, von Albrecht und ihrem kleinen Schützling getrennt. Von der gemeinsamen Erleuchtung hatte sie nichts mehr wissen wollen. Klick. Eine sehr deutsche Entscheidung. Zurück auf der Erde, Ende der indischen Daseinsvielfalt, Albrecht lachte schief.
    »Und ich muss zurück nach Indien, hier halte ich es nicht aus«, schloss er den Bericht.
    Schmidt wollte den Wunsch verständnisvoll befördern: »Das sehe ich ein. Ist eine andere Welt.« Er überlegte, ob er etwaiges Bitten um Geld mit einem Wortschwall über seine letzten fünfzehn Jahre unterdrücken sollte. Da war nur nicht so viel zu berichten, dachte er für sich. Rechtsanwalt aus Ratlosigkeit, erlebnisfreie Ehe, kinderlos und mit Katze.
    Albrecht enthob ihn der schwierigen Aufgabe: »Ja, und ein Hund gehört nicht zu meinem Weg.« Er schaute herunter, wo sich das propere kleine Bündel auf einem seiner ausgelatschten Stiefel niedergelassen hatte. Der nächste Augenaufschlag traf Ulrich nackt und unverblümt: »Da habe ich an dich gedacht.«
    »An mich?«, rief Schmidt bestürzt. »Wie kommst du gerade auf mich? Wir haben uns Ewigkeiten nicht gesehen, und bin ich etwa als Hundehalter in der Uni aufgefallen? Wieso hast du an mich gedacht?« Er ahnte, dass das von
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