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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
Autoren: Moritz Rinke
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noch in der Gemüseabteilung. Paul stach vor ihren Augen lächelnd und mit Herzrasen seine neue Visitenkarte »Pauls Painter« in eine holländische Wintertomate. Danach lief er zur Kasse. Eine Woche später schrieb Christina eine SMS.
     
    Schön, wie Paul Wendland so im Fruchtfleisch steckte. Machen Sie das immer so? Christina.
     
    Paul fand, dass dies die beste SMS war, die er je bekommen hatte, da war alles drin: Nähe, Sex, Distanz, das Spiel dazwischen. Wenn man so eine Beziehung führen könnte wie diese SMS! Überhaupt fand er im Rückblick alle Beziehungsphasen am schönsten, die sich noch zwischen der ersten und der 25. SMS bewegten. Was danach kam, war ihm schon zu eingespielt und ab der 100. SMS gingen die Forderungen ein.
     
    Am Ende nahm ich sie, sie sah so glücklich aus. (2. SMS von Christina über die Wintertomate)
     
    Christina war Ende zwanzig, eine große Frau, sehr dunkle Augen, ein Haar wie Vollmilchschokolade, Brüste, die nicht zu groß und nicht zu klein waren, umwerfende Stupsnase und auf dem linken Augenlid war ein hinreißendes, winziges, zartes Muttermal. Und sie war eine der vermutlich zielstrebigsten Frauen, die Paul seit seiner Mutter getroffen hatte, denn schon allein die Sache mit der glücklichen Wintertomate schien so was von eindeutig und klar.
    Ihr Vater kam aus Spanien, seine jüdischen Eltern waren nach Barcelona emigriert. Christina lebte seit ihrer Geburt in Berlin, wo die Mutter ein etwas gesetzteres Modegeschäft in Charlottenburg führte. Christina war eher bürgerlich groß geworden, trug meist Kaschmir- oder Seidenteile aus der Boutique ihrer Mutter, die sie mit dem gängigen Berlin-Style aus Trainingsjacken und hohen Lederstiefeln kombinierte. Überhaupt schien sie sich nach etwas zu sehnen, das ihr einerseits eine Gegenwelt darstellte, andererseits aber auch das Gefühl gab, Vertrautes zu finden. Ein angehender Stargalerist war da genau die richtige Mischung, und Paul hatte ihr das Brunnenstraßen-Projekt lange Zeit genauso dargestellt, wie er es seiner Mutter und sich selbst darstellen musste, um nicht den Glauben zu verlieren. Natürlich wurde ihr irgendwann bewusst, dass meist sie die Kinokarten zahlte, aber da war sie schon zu verliebt in Paul mit seinen Projekten und seinem Geschäftssinn für blinde Seelenmaler.
    Paul hatte einige Jobs hinter sich: gekellnert in Kreuzberg-Ausschank in einer Hotelbar am Lützowufer, er konnte am besten »Dark & Stormy« mixen; Abenddienst in einer anspruchsvollen Videothek am Prenzlauer Berg; Mitarbeit in einem Baumarkt, da war er einer der typischen Baumarktberater, die man nie zu greifen bekam, bei Paul lag es daran, dass er sich in den Korridoren ständig auf der Flucht befand, weil er von nichts eine Ahnung hatte, außer von Pinseln, mit Pinseln kannte er sich aus. Kurz vor dem Galerie-Projekt gab es das Helmholtz-Projekt, das war der Plan einer Biosaftbar am Helmholtzplatz, mit dem er sich nicht wirklich identifizieren konnte, er wollte die Bar nebenher betreiben und Studenten einstellen, was sich jedoch nicht rechnete, obwohl der Helmholtzplatz als Standort für Bio sehr gut war.
    Er besuchte auch Existenzgründungsseminare: Gewerbeamt, Rechtsformen, Zuschüsse, wie das alles funktionierte. Dazu Coachings für Kapitalbedarf, Businesspläne, Ideen-Check, Marktanalysen, Akquise, Internetpräsenz, doch Paul hatte schon während der ersten Seminarstunde das Gefühl, dass die Gründungsberater selbst nur nach einer Gründung gesucht hatten und jetzt fein raus waren, da sie den letzten, gefährlichen Schritt nicht mehr gehen mussten.
    Überwasser hielt er sich schon seit längerer Zeit mit dem Pornoprojekt. Auf diese fantastische Idee war er während einer Nacht im »Best Western am Kirchheimer Dreieck« gekommen: Seine alte Ente 2CV hatte den Geist aufgegeben, aber Paul war ADAC-Mitglied, was sich mit einer Ente schon mehrmals als sinnvoll erwiesen hatte. Man kam auch für die Hotelkosten auf. Er saß auf dem schmalen Bett und starrte ein Bild mit einem Hund in Kakaobraun an. Irgendwann nahm er es von der Wand, stellte es mit der Rückseite nach vorne ins winzige Badezimmer und trat nach dem Duschen versehentlich von hinten durch die Leinwand. Er versteckte den kaputten Hund im Kleiderschrank und hoffte, dass es niemand bemerken würde. Als man ihm eine Sonderrechnung über 247 Euro nachschickte, bekam er seinen Geistesblitz: Für so einen dämlichen Kakaohund 247 Euro?!, dachte Paul und versuchte einen Pool von Herstellern
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