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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
Autoren: Moritz Rinke
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durch den halben Bezirk, die Post ist übrigens viel weiter weg als der Supermarkt! Da gibt es absurde Schlangen, stundenlang füllen Omis irgendwelche Formulare aus und je länger ich in der Schlange stehe, umso mehr Angst bekomme ich, deine Pakete zu öffnen.«
    Er hatte ihr bereits mehrmals erläutert, dass es durchaus sein könne, dass der Salat, den sie auf Lanzarote kaufte, vom spanischen Festland komme und dass es doch irre sei, einen Salat um die halbe Welt zu schicken. Schon die Vorstellung, dass seine Mutter mit ihrem Corsa über die Insel raste, nur um den Salat noch schnell auf das Postamt in Playa Bianca zu bringen, beunruhigte Paul, denn seine Mutter kümmerte sich nicht viel um Regeln, Vorfahrten oder Fahrbahnmarkierungen in Kurven oder beim Abbiegen, was sie völlig ohne Ironie mit den gesellschaftlichen Infragestellungen seit der Revolution von 1968 begründete; seitdem fahre sie nun mal so, es sei eben so drin. Am gefährlichsten waren die ständigen Lanzarote-Verkehrskreisel; sie behinderten die schnellen Salatfahrten seiner Mutter, sodass sie ohne anzuhalten und mit allem Urvertrauen, das sie in ihre Unsterblichkeit zu haben schien, in die Kreisel hineinraste.
    »Was ist mit Christina?«, erkundigte sie sich.
    »Sie ist schon in Barcelona. Ich bin hiergeblieben«, sagte Paul.
    »Gut. Dann kannst du dich ganz auf dich konzentrieren. Wie geht es mit der Galerie voran?«
    »Danke. Sehr gut. Die Ausstellung von Tobias Halmer läuft«, antwortete Paul.
    »Hast du schon etwas verkauft?« Sie konnte mit ihrer Economie-telefonica-Vorwahl ewig lange telefonieren und Fragen stellen.
    »Ich bereite gerade Verkäufe vor«, erklärte er.
    »Du hättest dich auf dem Markt besser umsehen müssen, nicht gleich den Erstbesten nehmen, nur weil er dir sympathisch ist. Meist sind es die Unsympathischen, mit denen man Geschäfte macht. Ich habe von diesem Maler noch nie etwas gehört. Bist du dir mit deinem Halmer-Projekt überhaupt sicher?«
    »Ja«, sagte Paul.
    Er war sich nur noch nicht sicher, ob er seiner Mutter mitteilen sollte, dass es sich bei Halmer um einen blinden Maler handelte. Paul hatte sich sofort in dessen Bilder und Farben verliebt, vielleicht war es auch die tragische Geschichte gewesen, die ihn so berührt hatte, oder die Idee, dass blinde Malerei etwas ganz Neues sein könnte, da man ja immer Neues auf dem Kunstmarkt haben musste. Ob er nun berührt gewesen war oder die Sache schon berechnet hatte, Paul konnte das nicht mehr so genau unterscheiden.
    »Weißt du was?«, sagte sie, »ich schicke jetzt per Express Chicoree und lege ihn in feuchte Tücher, dann hält er sich noch länger. Du wirst zu deinem Geburtstag einen herrlich frischen Salat haben!«
     

Kovac und das Halmer-Projekt
    Der einzige Händler, der in seiner Galerie vorbeischaute, war der kroatische Schrotthändler Kovac. Er hatte gegenüber von »Pauls Painter« seine Montagehalle, in der er aus verschiedenen Einzelteilen Autos zusammenbaute. Paul gab ihm des Öfteren beim Rückwärtsrangieren mit dem Schrottlader Winkzeichen, damit er ohne Probleme auf die belebte Brunnenstraße fahren konnte.
    Kovac war sehr klein, hatte trotz seiner mittleren Jahre ein junges, verschmitztes, meist mit Öl oder Rost verschmiertes Gesicht und pfiff immer irgendeine Melodie, obwohl er total unmusikalisch war. Dennoch trällerte es unentwegt unter Blechen und Karossen hervor, an denen er gerade herumschraubte. Paul war sich sicher, dass Kovac auch mit Autodealern zusammenarbeitete, weil manchmal nachts Frontlader vorfuhren, deren Scheinwerfer in Pauls Raum strahlten, und er von seiner Yogamatte aus sehen konnte, wie Autos abgeladen wurden. Am nächsten Tag wimmelte es dann bei Kovac nur so von weiteren Männern, die auch wie Kovac aussahen und alle Autos auseinanderbauten und so wieder zusammenbauten, dass es andere Autos waren. Paul war sogar der Meinung, dass Kovac in der Lage war, aus vier Autos fünf zu machen. Außerdem hatte er immer schwarzgebrannten kroatischen Schnaps, der genauso viel Lebensenergie besaß wie Kovac selbst.
     
    Paul verbrachte den Vormittag seines Geburtstages in der Galerie und wartete auf das Express-Paket seiner Mutter, damit er nicht wieder mit einem Kärtchen zur Post rennen musste. Schon um neun Uhr kam Kovac mit einem Kanister und zwei Gläsern herüber, gratulierte und schenkte den ganzen Schnaps, den Kanister würde er wieder abholen. Sie stießen an, Kovac warf den Kopf zurück, schüttete den Schnaps herunter
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