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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
Autoren: Moritz Rinke
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er müsste einfach an den richtigen Stellen ein paar Hinweise lancieren, dass die Straße nach Westen noch weiterginge. Die Händler kamen aus Peking, Schanghai, Dubai, Moskau, Bombay, New York oder Miami Beach, da würden sie die restlichen Meter ja wohl auch noch zurücklegen können.
    »Die östliche Brunnenstraße ist Mitte, aber die westliche Brunnenstraße Wedding. Das ist vielleicht das falsche Territorium?«, hatte Christina gesagt, als sie vor wenigen Tagen in die Galerie gekommen war, um ihn doch noch davon zu überzeugen, mit nach Barcelona zu gehen.
    »Du tust ja so, als sei das hier Nordkorea! Zur östlichen Brunnenstraße sind es nur ein paar Meter. Ich weiß, dass der Wedding kommt! Neukölln und Pankow sind auch gekommen, da kommt der Wedding auch, das ist doch logisch, vor allem, wenn Mitte nur eine Minute entfernt ist«, erklärte Paul, man müsse sich an so eine Straße nur dranhängen, der Rest komme von alleine.
    Ein nasser Hund lief in die Galerie, danach eine Mitarbeiterin aus Ginas Hundestudio mit einem riesigen Fön in der Hand. »So was machen wir doch nicht, du Süßer!«, sagte sie, »Frauchen wird mir was husten, wenn ich dich so patschnass abgebe!« Sie drängte ihn in eine Ecke, dann flüchtete der hysterische Hund aus der Galerie, die Frau vom Salon folgte.
    »Scheißköter«, sagte Paul.
    »Ich war noch nie in Neukölln. Wann soll der denn gekommen sein?«, fragte Christina.
    »Da kannst du jeden Immobilienmakler fragen. Die Gegend hat in letzter Zeit angezogen in den Preisen, das wird hier auch passieren. Und wenn sich das Zentrum auf uns zubewegt, dann werden hier auch keine Hunde mehr gefönt. Stell dir vor, in der Brunnenstraße macht jetzt Tarantinos Bar auf, die Tarantino sogar selbst besuchen will, da hängen Original-Kill-Bill-Schwerter.«
    »Okay, vielleicht ist es ja doch der richtige Ort. Erst kommt ein Hund und dann John Travolta«, sagte Christina und fuhr anschließend in ihr Institut, um sich von ihrem Professor zu verabschieden.
    Insgesamt saß Paul schon seit ein paar Monaten in der westlichen Brunnenstraße und wartete auf den kommenden Wedding und den globalen Kunstmarkt, aber das Einzige, was in seiner Galerie ankam, waren die Pakete seiner Mutter. Es waren große, leichte Pakete, seine Mutter schickte ständig Pakete aus Lanzarote, wo sie lebte.
    »Danke für die Post, aber ich glaube, der Salat ist vielleicht doch frischer, wenn ich ihn hier kaufe«, erklärte ihr Paul am Telefon, nachdem er aus dem Cafe in seine Galerie zurückgegangen war.
    »Nein, der, den ich dir schicke, ist ein ganz besonderer. So einen habt ihr gar nicht in eurer vitaminlosen Großstadt«, entgegnete sie. »Vitaminlose Großstadt« war bei ihr schon ein feststehender Begriff, er bedeutete: In Berlin kann man nicht überleben, wie kann man nur freiwillig in so eine Stadt ziehen? Diese Stadt ist unorganisch, ohne richtige Nährstoffe, eine Mangelstadt, komm lieber zurück zu mir auf die Insel.
    »Das ist ein ganz normaler Kopfsalat, den haben wir auch, den kriegt man in jedem Supermarkt«, sagte Paul, er hatte es schon oft gesagt.
    »Als ich neulich in der vitaminlosen Stadt war, habe ich nur Schnittsalat in euren Supermärkten gesehen, ganz kraft- und energielose einzelne Blätter lagen da herum«, behauptete seine Mutter, die allerdings zuletzt in Berlin gewesen war, als es die Mauer noch gegeben hatte.
    Vielleicht sah damals der Salat wirklich nicht gut aus, dachte Paul, weil er aus Westdeutschland geliefert und erst noch durch die DDR transportiert werden musste.
    »Es kann schon sein«, räumte er ein, »dass es hier damals keine richtigen Salatfelder gab für Westberlin, aber das hat sich geändert seit der Wende. Ganz Brandenburg ist voll mit guten Ackerböden. Auf jeden Fall leben wir nicht mehr zu Zeiten der Luftbrücke! Damals war es nötig, dass die Westalliierten Berlin versorgten, aber doch jetzt nicht mehr.« Weil jedoch seine Mutter auf die historischen Ausführungen nicht einging, versuchte er noch einmal auf den Punkt zu kommen: »Darum geht's auch gar nicht. Ein Paket aus Lanzarote braucht mehr als eine Woche. Glaub mir, der Salat, der hier ankommt, sieht ganz anders aus, als der, den du losgeschickt hast. Und manchmal wird er auch noch übers Wochenende postgelagert.«
    Es gab Samstage, da musste Paul gegen das Verfaulen seiner Muttersalate in der Postlagerung richtig anrennen, um noch vor Schließung das Amt zu erreichen.
    »Die geben immer Kärtchen ab und ich laufe dann
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