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Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde

Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde

Titel: Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
Autoren: Eve Silver
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1. KAPITEL
    Erlöse mich von dem Gott, der die Seelen raubt,
    der sich von Kot und Unrat ernährt,
    von dem dämonischen Wesen, das in der Finsternis lauert und vor dem die Schwachen erzittern.
    Wer ist er? Es ist Seth.
    Es ist Sutekh.
    Nach dem Ägyptischen Totenbuch
    Chicago, Illinois, elf Jahre zuvor
    I n der hintersten Ecke eines kahlen Raums im Kellergeschoss einer verlassenen Fabrik lag eine Frau zusammengekauert auf einer verdreckten Matratze. Sie war an Händen und Füßen mit einem gelben Nylonstrick gefesselt und hielt den Kopf gesenkt, sodass die dunklen Locken ihr Gesicht verdeckten. Der harte Schein einer nackten Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing, fiel auf ihren gebeugten Rücken.
    Normale Sterbliche hätten in einer solch hilflosen Lage gewimmert oder geschrien.
    Dagan Krayl fragte sich, warum diese Frau es nicht tat. Er trat ein Stück näher, um besser durch den fingerbreiten Türspalt spähen zu können. Ein kleiner, kahler Raum. Fußboden aus Zement. Unverputzte Spanplattenwände. Keine Fenster.
    Auf der Matratze waren dunkle, rostrote Flecken. Sie waren eingetrocknet und schon älter. Jemandes Blut.
    Nicht das dieser Frau.
    Noch nicht.
    Irgendwer hatte sie hier zurückgelassen, um später wiederzukehren. Die Frau hatte also allen Grund, sich zu fürchten, um Hilfe zu rufen, zu schreien oder zu weinen. Menschliche Wesen heulten bei so einer Gelegenheit, besonders Frauen. Männer manchmal auch. Aber diese Frau nicht.
    Das und die merkwürdigen Bewegungen, die sie vollführte, machten Dagan neugierig.
    Was trieb sie da? Ihr Kopf ging rauf und runter wie ein Korken, der auf den Wellen tanzt. Ganz schwach hörte Dagan ein Geräusch. Es klang wie ein Kratzen oder Schaben.
    Die Gefangene legte eine Atempause ein. Mit der hochgezogenen Schulter versuchte sie, sich die langen, lockigen Strähnen aus dem Gesicht zu streifen. Dann senkte sie wieder den Kopf und fuhr fort mit dem, was immer sie da veranstaltete. Wieder hörte er das leise Schaben, und allmählich dämmerte Dagan, was sie da tat. Sie versuchte, mit den Zähnen die Fesseln zu zerbeißen und sich so zu befreien.
    Interessant. Trotz der jämmerlichen Lage, in der sie sich befand, war ihr Kampfgeist nicht gebrochen. Das verdiente Bewunderung.
    Bewunderung? Dagan stutzte. Die Frau ging ihn nichts an. Er war hierhergekommen, um zu töten. Um seine Ernte einzufahren.
    Aber nicht sie.
    Die Beute, der er nachstellte, war eine andere, eine mit dem widerwärtigsten Dreck besudelte Seele, die Summe eines verbrecherischen, durch und durch verdorbenen Lebens. Genau das waren die Leckerbissen, nach denen Sutekh, sein Vater, verlangte. Sutekh, auch Seth genannt, der Herr über das Chaos. Er ernährte sich ausschließlich von dem Gemeinen und Lasterhaften.
    Die Seelensammler, die Soul Reaper, von denen eine ganze Armee Sutekh unterstand und zu denen auch Dagan gehörte, hatten dafür zu sorgen, dass er satt wurde. Dagan war allerdings nicht irgendein Seelensammler. Er war Sutekhs Sohn, der älteste von vieren. Entsprechend hoch waren die Ansprüche, die Sutekh an ihn und seine Brüder stellte.
    Dagan blickte über die Schulter zurück in den dunklen, schmalen Korridor, durch den er gekommen war. Er hatte die weitläufigen, leeren Hallen in diesem verkommenen Gemäuer im Süden von Chicago schon durchkämmt. Nur hier, im unterirdisch verborgenen Innenleben der alten Fabrik war er noch nicht gewesen. Aber er wusste, dass der, den er suchte, hier irgendwo sein musste. Und deshalb wusste Dagan auch, dass er in diesem Augenblick Wichtigeres zu tun hatte, als heimlich diese Frau zu beobachten.
    Trotzdem konnte er sich nicht von dem Anblick losreißen und sich nicht dazu entschließen, weiter der Schwarzen Seele nachzujagen, auf deren Fährte er sich befand. Er kannte das Gefühl nur zu gut, in namenloser Wut darum zu kämpfen, sich aus Fesseln zu befreien. Ihm war es schließlich gelungen, die Fesseln abzuwerfen und Freiheit zu erringen. Aber wie sagten die Sterblichen immer? Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Auch Freiheit hat ihren Preis.
    Dagan griff in die Gesäßtasche seiner abgetragenen Jeans und zog einen Lolli heraus. Das durchsichtige Einwickelpapier knisterte, als er ihn auspackte. Er steckte sich den Lutscher in den Mund. Ananas – nicht gerade seine Geschmacksrichtung. Nächstes Mal sollte er genauer hinschauen. Mit fast übertriebener Sorgfalt faltete er das Zellophan in der Mitte, dann noch einmal und steckte es zurück in die
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