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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan
Autoren: Amelie Fried
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alten Autogrammkarten in der Hand. »Für Willi« hatte sie darauf geschrieben, »mit herzlichen Grüßen, Katharina Moor, Mai ’83«.
    Hatte sie die Karte bei irgendeiner Veranstaltung unterschrieben? Hatte er per Post um ein Autogramm gebeten? Kate erinnerte sich nicht. Damals hatte sie Tausende von Autogrammwünschen erfüllt. Das scheußliche Gefühl, seit Jahren von ihm beobachtet worden zu sein, stieg wieder in ihr auf. In einer plötzlichen Aufwallung zerriß sie das Foto in kleine Schnipsel und steckte sie sorgfältig in ihre Jackentasche.
    Sie blätterte in den Alben, suchte, ob es vielleicht auch ein Zweierfoto von ihm und ihr gäbe. Sein Abbild grinste ihr hundertfach entgegen, sie ertrug es kaum noch. Dann fiel ihr ein, daß er ihr nichts mehr anhaben könnte. Er war ja tot.
    Es fanden sich keine weiteren Bilder von ihr. Sie wandte sich einer Reihe von Aktenordnern zu, denen sie bislang noch keine Beachtung geschenkt hatte. Sie enthielten, alphabetisch geordnet, Zeitungsberichte über prominente Persönlichkeiten; sorgfältig ausgeschnitten und beschriftet. Zu jeder Person gab es handschriftliche Notizen über Vorlieben, Besonderheiten, Eigenarten.
    Kate war so versunken, daß sie nicht hörte, wie sich unten eine Tür öffnete und wieder schloß. Auf der Suche nach dem Ordner mit dem Buchstaben »M« steckte sie mit dem halben Oberkörper im Schrank und vernahm nur den Hall ihrer eigenen halblauten Stimme, mit der sie zu sich selbst sprach. Die Tür zum Schlafzimmer wurde geöffnet.
    Kate spürte plötzlich, daß etwas nicht stimmte, aber bevor sie sich umdrehen konnte, legte sich eine Hand auf ihren Mund.
    Kate gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Die Taschenlampe war ihr entglitten und halb unters Bett gerollt, so daß der Raum fast im Dunkeln lag.
    Panische Angst schnürte ihr den Hals zu.
    »Bleib ganz ruhig«, hörte sie Malises Stimme an ihrem Ohr.
    Fast hätte Kate vor Erleichterung geweint, aber sie stieß nur ein leichtes Wimmern aus.
    »Sei leise«, flüsterte Malise, »er ist zurückgekommen. Er ist im Haus.«
    Erneut wurde Kate von Panik ergriffen. »Was sollen wir jetzt tun?« flüsterte sie verzweifelt.
    In diesem Moment kamen Schritte die Treppe hoch.
    Wie auf Kommando schoben Malise und Kate alle Ordner und Alben, die auf dem Boden lagen, unters Bett. Malise griff nach der Taschenlampe und machte eine schnelle Bewegung zu den Schränken hin. Sekunden später fanden sie sich zwischen den Kleidern und Anzügen des Ehepaares Mattuschek wieder. Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür, und das Deckenlicht flammte auf.
    Kate dachte, ihr Herzschlag müsse bis ins Nachbarhaus zu hören sein. Sie schloß die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Bitte, bitte, laß ihn nicht den Schrank öffnen, flehte sie. Malises Atemzüge dröhnten wie ein Orkan in ihrem Ohr.
    Den Geräuschen nach zu schließen, entledigte sich Mattuschek seiner Kleidung. Gleich darauf ging er ins Badezimmer. Offensichtlich ließ er Wasser in die Wanne einlaufen. Das Fließen übertönte die Schritte der beiden Frauen, als sie vorsichtig aus dem Zimmer und die Treppe hinunterschlichen.
    Plötzlich blieb Malise stehen.
    »Was ist los?« fragte Kate flüsternd.
    »Wir tun’s jetzt«, bestimmte Malise.
    Kate wurde starr vor Schreck. »Ich kann nicht«, flüsterte sie.
    Malise ignorierte den Einwand und reichte ihr die riesige, mit Hartgummi verkleidete Taschenlampe.
    »Los!«
    Sie schob die widerstrebende Kate die Treppe hoch.
    Kate hielt die Lampe mit beiden Händen umklammert, als suche sie Halt.
    Aus dem Badezimmer war jetzt leises Plätschern zu hören. Malise zählte leise: »Eins … zwei … drei«, und riß die Tür auf.
    Entgeistert setzte Mattuschek sich in der Badewanne auf.
    »He … was soll denn das?« rief er und wollte aufspringen.
    Kate holte halbherzig mit der Taschenlampe aus, er wich zurück und rutschte wieder ins Wasser.
    Malise griff nach einem Rasierapparat, schaltete ihn ein und warf ihn Richtung Badewanne. Das spiralförmig gewundene Kabel dehnte sich auf seine volle Länge, der Apparat schlug am Wannenrand auf, schnalzte zurück und landete unter dem Waschbecken.
    »Scheiße!« fluchte Malise.
    In diesem Moment sprang Mattuschek aus der Wanne. Er verlor den Halt, glitt mit den nassen Füßen aus und fiel der Länge nach hin. Sein Hinterkopf schlug auf einen Mauervorsprung auf. Er hinterließ eine blutige Spur auf den hellen Fliesen.
    »Aaaah!« Kate schrie auf und machte einen Satz
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