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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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Entschluß, den unverhofften Reichtum sicherzustellen. Mit einem der Lastwagen einfach wegzufahren, erschien ihm zu riskant. In einer Scheune fand er einen größeren Heuwagen und im Stall einen zurückgelassenen Ochsen, den er, obgleich im Umgang mit solchen Tieren unkundig, nach einigen Anstrengungen vor den Wagen spannen konnte. Die Furcht, seine Truppe oder der Fahrer der LKWs könnten zurückkehren, trieb ihn zur Eile an. In dieser Nacht arbeitete Bruno zum ersten Male mit Begeisterung. Was der Wagen tragen konnte, lud er auf und ahnte zu dieser Stunde noch nicht, welchen Wert die Waren in wenigen Tagen erhalten würden.
Nachdem Bruno die Kostbarkeiten umgeladen hatte, entledigte er sich der Uniform, vertauschte sie gegen einen alten Anzug, den er im Bauernhaus fand, füllte zu guter Letzt noch einen Rucksack mit Rauchwaren und trieb dann den Ochsen zur Eile an.
    Die Gegend war ihm fremd, daher schlug er den ersten besten Waldweg ein und gelangte bei Tagesanbruch in ein Dorf, das Hintergeißberg hieß und nur aus zwei Bauernhäusern und einigen Stallungen bestand. In diesem Landstrich hatte man in all den Jahren nicht viel vom Kriege verspürt. Dann und wann ein paar Flugzeuge, in der vergangenen Nacht ein länger anhaltendes Schießen, Freilich, das Fehlen der Söhne und Ehemänner machte auch den Bewohnern von Hintergeißberg bewußt, in welcher Zeit man lebte. Die Höfe wurden nur von Frauen bewirtschaftet.
    Das Glück war an diesem Morgen mit Bruno. Die einfachen, ehrlichen Leute freuten sich über seine Geschenke und versprachen ihm, den Wagen bis Kriegsende sicher zu verstecken. Auch war Bruno als Arbeitskraft willkommen. Er wäre schon um seiner Sicherheit willen geblieben. Als sie aber am Nachmittag im Radio von der Kapitulation erfuhren, hatte er es verständlicherweise eilig. Er mußte, koste es, was es wolle, ein Auto auftreiben, um das Beutegut in Sicherheit zu bringen.
    Der junge Mann hatte also allen Grund, die Rückkehr nach Hintergeißberg mit Zuversicht anzutreten. Bei den Tauschgeschäften in Hamburg war ihm der Wert der Mangelwaren erst bewußt geworden. Er fühlte sich bereits als wohlhabender Mann.
    Was aber, wenn ihm die Bauersleute einfach erklärten, das Versteck sei entdeckt und die Waren beschlagnahmt worden? Je mehr er sich seinem Ziel näherte, desto mehr wurde ihm dieser Gedanke zur Qual. Er gönnte weder sich noch dem strapazierten Auto eine Ruhepause, war bis auf die Haut durchgeschwitzt. Hin und wieder traf er auf Flüchtlinge, die nach allen Richtungen in ihre Heimatorte zurückströmten. Einige winkten, wollten von ihm mitgenommen werden, aber Bruno fuhr wie besessen weiter. Die große Wende seines Lebens war zum Greifen nahe.
    Am späten Nachmittag erreichte er ohne Zwischenfall die Ausläufer des Schwarzwaldes. Drückende Schwüle kündete einen Wetterumsturz an. Im Südwesten hatte sich der Himmel verfärbt, Wind kam auf, wirbelte Staub ins Auto. Trotz der quälenden Hitze drehte Bruno die Scheiben hoch. An der rechten Tür war das Fenster nicht in Ordnung; bei der geringsten Erschütterung sackte es wieder nach unten. Er schenkte diesem Schönheitsfehler keine Aufmerksamkeit. Weiter, nur weiter. Siebzig, höchstens achtzig Kilometer noch bis Hintergeißberg. Zum hundertsten Male überrechnete er sein Vermögen, das ihn in jeder Minute seinem Traum vom eigenen Friseursalon näher brachte. Er konnte nicht ahnen, wie verhängnisvoll sich das defekte Fenster in kurzem auswirken würde.
    An einer Straßenkreuzung änderte Bruno die Fahrtrichtung. Der Weg führte nun zwar über kleine Hügelketten und dichten Wald, aber er konnte einige Kilometer einsparen. Eine halbe Stunde später bereute er seinen Entschluß. Nur mit Mühe schaffte der Wagen die Anhöhen, blieb sogar einige Male stehen.
    Es wurde dunkel. In der Nähe grollte ein Gewitter. Bruno schaltete die Scheinwerfer ein, raste die Berghänge hinunter, um die verlorene Zeit aufzuholen. Die Landschaft war menschenleer. Nirgendwo ein Lichtschimmer. Zu beiden Seiten dichter Mischwald. Immer häufiger zerrissen grelle Blitze die Dunkelheit; anhaltendes Donnern übertönte den Motorenlärm. Dann brach ein Tropenregen herab, peitschte durchs offene Fenster. Bruno verlangsamte die Fahrt, klemmte mit der Rechten das Fenster fest. Der Regen trommelte aufs Verdeck, als stünde die Sintflut bevor. Die Wassermassen verwandelten den Waldweg in einen reißenden Bach. Schließlich mußte er im Schrittempo fahren, weil die Scheibenwischer
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