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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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Meßgeräte des Pfeils arbeiteten normal, die letzten Tage im Falken erschienen ihm jetzt beinahe wie ein böser Traum. Sechsunddreißig Stunden hatten die beiden Sauerstoffaggregate noch durchgehalten, ehe sie fast gleichzeitig ausgefallen waren. Bis zum letzten Augenblick hatte der Navigator geschwankt, ob er sich nicht doch noch weigern sollte, die Fähre zu besteigen. Weigern, selbst wenn es der Kommandant befahl. Aber schließlich hatte er das Opfer der anderen angenommen. Sie hatten sich, um nicht noch in Rührung zu verfallen, um die letzten Augenblicke nicht noch durch verständliche Schwäche zu verderben, so kurz wie möglich verabschiedet. Dennoch würden ihm diese Minuten, ihre Gesichter, ihre letzten Grüße für immer im Gedächtnis bleiben.
    Er lag in seinem Sessel und starrte auf den Bildschirm. Langsam verschwand der Falke aus seinem Gesichtsfeld. Seine Hand griff mechanisch zum Funkgerät. Wenn er die Umlaufbahn des Harten Türkis erreicht hatte, konnte er Verbindung aufnehmen. Nach den Aufregungen der letzten Tage breitete sich nun eine große Ruhe in ihm aus, und fern, ganz fern, sah er aus dem Dunkel das Gesicht seiner Mutter auftauchen.
Experiment und Korrektur
    Eines Tages im Frühjahr 1972 wurde ich aus einer Sitzung gerufen. Am Telefon sei jemand, der etwas über utopische Literatur wissen wolle. Ich meldete mich. Ein Unbekannter fragte, ob der Verlag an einer utopischen Erzählung interessiert sei.
    Gewiß, sagte ich. Er möge sie einsenden, ich würde sie lesen. Das eben ginge nicht, entgegnete er. Er habe den Text auf Band gesprochen. Ob ich nicht zu ihm kommen könne, das Band anzuhören.
    Verrückt, dachte ich, ging aber hin – und war angetan. Zumindest von der Idee. Das andere war Begabung, außerdem Bemühen, Geduld und Vertrauen auf beiden Seiten. Das Ergebnis: eine der interessantesten Geschichten dieses Buches.
    Nicht alle Manuskripte kamen auf so ungewöhnliche Weise zustande, doch stellen alle in dieser oder jener Beziehung ein Experiment dar. Mehr als zweieinhalb Jahrzehnte schien es ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein, einen Band mit utopischen Geschichten von DDR-Autoren herauszugeben. Kaum einer der in diesem Genre tätigen Autoren schrieb Erzählungen, alle beschäftigten sich mit dem Roman. Um diesen Zustand zu korrigieren, veranstaltete der Verlag DAS NEUE BERLIN 1971 einen Wettbewerb für utopische Erzählungen.
    Ihm entstammt der Grundstock des Bandes: Günther Brandenburgers »Vertrauensstellung«, Günther Krupkats »Mann vom Anti«, Klaus Möckels »Einer von vier« und Gert Prokops »Tod der Unsterblichen«. Die anderen Erzählungen kamen nach und nach.
    Der Mangel an utopischen Erzählungen ging nicht auf ungenügendes Leserinteresse zurück. Die begeisterte, um nicht zu sagen begierige Aufnahme ausländischer phantastischer Erzählungen durch das Publikum bewies das Gegenteil. Doch wie in der nichtutopischen bedurfte es auch in der utopischen Literatur einer Reifezeit. Die Hinwendung zur kleinen Form ist, obwohl eine literarische Erscheinung, aus Gesetzmäßigkeiten ebenso des künstlerischen Schaffens wie der gesellschaftlichen Entwicklung abzuleiten.
    Die innere und äußere Ausprägung und Verfestigung der sozialistischen Gesellschaft übte unverkennbar ihren Einfluß aus. Sie förderte Ideen zutage, regte neuartige Fragestellungen an, machte Mut zur literarischen Äußerung. Die kosmischen und globalen Themen, inzwischen ausgiebig behandelt, verstanden sich eher von selbst, ihre Fragen und Antworten waren bekannt, waren Bestandteil des sozialistischen Weltverständnisses geworden. Jetzt zielen die Fragen aufs Detail, vor allem auf den Menschen, auf seine unausschöpflichen Möglichkeiten, nicht mehr so stark auf Sachprobleme. Deshalb ist es sicherlich kein Zufall, wenn in dieser Sammlung diejenigen Autoren überwiegen, die auf utopischem Gebiet zum ersten Mal an die Öffentlichkeit treten. Eine neue Generation meldet sich zu Wort.
    Literatur ist lebendig, solange sie das menschliche Leben neu zu entdecken und zu gestalten vermag. Äußerlich gesehen, bietet der Band überwiegend Bekanntes: Zeitreise, Robotergeschichte, Genmanipulation, Raumfahrt, Antiwelt – alles Stoffbereiche, die oft behandelt worden sind, manche vielleicht im Übermaß. Dennoch bringen die meisten Geschichten etwas durchaus Neues ein. Es geht ja gar nicht darum, daß beispielsweise eines Tages vielleicht ein Kunstwesen geschaffen wird, das dem Menschen zum Verwechseln ähnelt. Nein, es
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