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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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geöffnet?
    Während er überlegte, nach einem Ausweg suchte, um aus der verfahrenen Situation herauszukommen, klappte irgendwo eine Tür. Kurz danach drang eine Stimme undeutlich herauf. Ihr Tonfall war unverkennbar; nur der Wärter Caramallum besaß diese Fistelstimme. Einige Sekunden war es ruhig. Dann, unerwartet, durchdrang ein markerschütternder Schrei alle Räume. Er kam eindeutig aus der Richtung der Tapetentür. Sekunden später wiederholte sich das hilflose Schreien, ging dann in ein Röcheln über, bis auch dies verstummte. Statt dessen wurde die Kastratenstimme Caramallums wieder vernehmbar. Er sang ein Lied.
    Furcht raubte Bruno fast die Besinnung. Der Professor mußte die entsetzlichen Schreie gehört haben – warum reagierte er nicht darauf? Was hatte sich hinter der kleinen Tür abgespielt? Er hörte den schweren Tritt des Wärters näher kommen. Die Tapetentür öffnete sich. Bruno sah den befleckten Kittel Caramallums. Der Samson mußte sich bücken, um durch die Tür zu kommen. Er trug einen emaillierten Eimer, der bis zum Rand mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt war. Ein widerlicher Dunst stieg zu ihm herauf, ein Geruch, den Bruno im Kriege oft wahrgenommen hatte. Blut. Der entsetzliche Mensch mußte jemanden getötet haben.
    Caramallum hatte den Eimer vor der Tür abgesetzt, um sie verschließen und verriegeln zu können. Aus der Ecke kam die Stimme des Professors: »Ich habe es mir anders überlegt, Caramallum. Gib nur Titus und Vampus davon zu trinken. Rochus wird heute nicht gefüttert – jedenfalls nicht mit diesem Ersatz.«
    »Aber Rochus hat bereits seit Tagen nur von Konserven gelebt, Herr Professor«, wandte Caramallum ein, »Sie wissen, ich mag Rochus, er ist immer so dankbar, wenn ich ihm frisches Blut verabreiche.«
    »Bist du taub?« tönte es aus der Ecke. »Soll ich dir das Fell gerben, oder sollte ich dir wieder mal eine Spritze verabreichen?«
    Caramallum duckte sich, sein aufgedunsenes Gesicht verzerrte sich angstvoll. Er wolle alles tun, was der Herr Professor von ihm verlange, versicherte er.
    »Rochus bekommt heute etwas, wovon er seit seiner frühsten Kindheit träumt«, erklärte von Pulex sachlich. »Viel zu lange mußten wir ihm den echten Nektar vorenthalten, das wird sich bald ändern. Er soll sich heute an unserm Gast satt trinken – wozu haben wir ihn hochgepäppelt?« Ein hysterisches Lachen folgte. »Das Büblein klein an der Mutterbrust, hahaha… Dieser Plath ist doch ein geriebener Bursche, schlauer, als wir ahnten. Vor einer guten halben Stunde hat er es fertiggebracht, die Tür aufzubrechen, wollte uns entwischen. Dumm von ihm, nicht wahr?«
    »Sehr dumm«, meinte der Hüne grinsend.
»Nun steht das Würstchen oben an der Treppe und weiß nicht wohin. Schalte das Licht ein, Caramallum, und sieh ihn dir an. Er zittert wie Espenlaub.«
    Caramallum machte eine Bewegung zur Wand. Grelles Dekkenlicht flammte auf und blendete Bruno. Der Goliath stieß einen schrillen Ruf aus, forderte ihn kreischend auf, sofort herunterzukommen, andernfalls würde er ihn holen.
    Vor Brunos Augen drehte sich die Treppe. Als er das Geländer losließ, stürzte er hinunter. Eine wohltuende Ohnmacht ließ ihn die Schmerzen nicht spüren. Caramallum, überrascht von der schnellen Ankunft seines Patienten, sprang zur Seite. Bruno rollte gegen den Eimer, dessen Inhalt ergoß sich über das Parkett.
3
    Seine Bewußtlosigkeit war nicht von langer Dauer. Er erwachte in einem Ledersessel, sah unmittelbar vor sich die dicken Augengläser des Professors. »Endlich, endlich, mein Freund«, hörte er ihn sagen, »Sie machen ja schöne Geschichten, Herr Plath. Und so was will Soldat sein, fällt einfach um. Sehen Sie sich die Schweinerei an, mindestens acht Liter Blut haben Sie verschüttet!«
    Von Pulex trat zurück, lehnte sich gegen seinen Schreibtisch und fixierte Bruno. Der war noch nicht ganz bei sich. Er bemerkte, daß Caramallum im Halbdunkel des Saales auf den Knien hockte und den Fußboden aufwischte. Ob ich das alles nur träume, ging es ihm durch den Kopf, vielleicht bin ich noch in Stalingrad? Als er das Gesicht dem Professor zuwandte, machte er eine Entdeckung, die ihn vollends verwirrte. Von Pulex hatte seinen Kittel etwas geöffnet. Deutlich trat eine schwarze Uniform hervor. Auf den Kragenspiegeln glitzerten silberne Totenköpfe.
    Er entsann sich des Gemäldes. Die Zusammenhänge wurden immer klarer. Dieses Gebäude mußte eine versteckte Bastion von Fanatikern sein, die den
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