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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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Gespenst vor. Er ging zum Fenster, schob ein Rollo zur Seite. Draußen war es stockfinster. Leise tappte er zur Tür. Sie war, wie erwartet, verschlossen. Plötzlich stutzte er. Schritte kamen näher. Er lief zum Bett zurück, hatte sich gerade hingelegt, als das Licht erlosch.
    Die Furcht, es könnte jemand im Dunkeln eintreten, ließ ihm den Atem stocken. Doch an der Tür blieb es still; die Schritte entfernten sich wieder, von draußen drang das Rauschen der Bäume herein. Ermüdet von dem anstrengenden Erkundungsspaziergang, schlief er bald darauf ein.
    Sein Erwachen wiederholte sich zweimal in ähnlicher Weise. Immer standen Brot, Suppe und Wein auf dem Tisch. Bruno fühlte sich nun schon so sehr gekräftigt, daß er mehrere Stunden im Saal auf und ab gehen konnte ohne zu ermüden.
    Eines Abends, als er gegessen hatte, löste er vorsichtig den Verband vom Handgelenk und nahm auch die Mullbinde vom Hals. Es waren nur noch kleine, vernarbte Wunden zu sehen. Er kleidete sich an, fest entschlossen, das unheimliche Haus zu verlassen. Seit Tagen war ihm der Gedanke an eine Flucht durch den Kopf gegangen. Die Gelegenheit erschien ihm günstig, denn man hielt ihn offenbar noch immer für bettlägerig. Schlimmstenfalls mußte er den Weg nach Hintergeißberg zu Fuß gehen.
    Bruno hatte die Schuhe noch nicht zugeschnürt, als wie erwartet das Licht wieder abgeschaltet wurde. Er hielt das Feuerzeug griffbereit. In den Tagen des Alleinseins hatte sich sein Selbstbewußtsein gefestigt. Mochte dieser seltsame Professor denken und tun, was er wollte. Schließlich war der Krieg vorbei, und niemand hatte das Recht, ihn festzuhalten.
    Eine Viertelstunde war vergangen. Im ganzen Gebäude herrschte Totenstille. Er klappte das Taschenmesser auf. Das praktische Instrument besaß außer zwei Klingen noch einige nützliche Spielereien: eine Nagelschere und einen Schraubenzieher. Jedes Geräusch vermeidend, machte er sich an die Arbeit, löste ohne Schwierigkeit die Blende am Türschloß und versuchte nun, die Zuhaltung zurückzudrehen. Unerfahren, wie er in solchen Dingen war, merkte er nicht, daß der Schlüssel von außen steckte. Wenig später fiel er polternd herunter.
    Erschrocken lauschte er. Es rührte sich nichts; offenbar schliefen der Professor und sein Wärter. Bruno versuchte weiter sein Glück, verbog den Schraubenzieher zu einem Dietrich, drehte ihn unkundig im Schloß herum, bis ihm endlich der Zufall zu Hilfe kam. Die Zuhaltung schnappte zurück, lautlos ließ sich die Tür öffnen. Er wartete. Tiefe Stille um ihn, nirgendwo ein Lichtschimmer.
    Trotzdem wagte er es noch nicht, das Feuerzeug anzuzünden, setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen, die Arme wie ein Blinder nach vorn gestreckt. Nach ein paar Schritten berührten seine Hände etwas. Er fühlte Stoff und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als er die Form eines menschlichen Körpers abtastete. Bebend zuckte Bruno zurück, flüsterte mit ersterbender Stimme eine Entschuldigung. Keine Antwort. Sein Gegenüber rührte sich nicht. Endlich fand er den Mut, das Feuerzeug anzuzünden. Im flackernden Licht erkannte Bruno eine Schaufensterpuppe.
    Er befand sich in einem großen Vorraum, entdeckte einige Türen und einige Meter vor sich eine Treppe, die nach unten führte. Der kurze Überblick genügte ihm. Er löschte das Licht und wartete, bis sich seine Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Langsam tastete er sich zur Treppe vor. Als er bis an die erste Stufe gekommen war, bemerkte er unten einen schwachen Lichtschimmer. Jedes Geräusch vermeidend, ging Bruno auf Zehenspitzen bis ans Treppengeländer, lugte nach unten. Im Dämmerlicht war ein großer Saal zu erkennen. Die Wände, soweit er sie aus seiner Sicht übersehen konnte, waren mit Bücherregalen verdeckt. Unmittelbar neben der untersten Treppenstufe entdeckte er eine schmale Tapetentür. Führte sie in die Freiheit? Ratlos verharrte Bruno einige Zeit auf seinem Platz. Das Rascheln von Papier und ein kräftiges Räuspern belehrte ihn, daß es unmöglich war, unbemerkt zu entkommen. In einer Ecke des Saales, die Bruno nicht sehen konnte, mußte der Professor sitzen und arbeiten.
    Seine Entdeckung brachte ihn in arge Verlegenheit, denn nun konnte er ohne Erklärung den Rückzug nicht mehr antreten – er wäre gar nicht fähig gewesen, das Türschloß wieder zusammenzusetzen. Und die Tapetentür? Konnte sie der Professor von seinem Platz aus sehen – und war sie überhaupt
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