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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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Krieg auf eigene Faust fortsetzten. Es mußte ein gut getarntes Versteck sein, sonst wäre es längst entdeckt worden. Aber was trieben diese Leute?
    Caramallum hatte den Fußboden trockengewischt. »Fertig«, meldete er, »was soll ich jetzt machen, Herr Professor? Ich würde gern den Schweinehund zur Ader lassen.«
    Bruno fühlte wieder, wie seine Knie sich selbständig machten und zu zittern anfingen. Er entsann sich der Todesschreie. »Herr Professor«, stammelte er, »ich war zweimal verwundet und habe das Eiserne Kreuz bekommen… Ich habe immer meine Pflicht getan… Ich war an allen Fronten…«
    »Lauter, Mann«, unterbrach ihn von Pulex, »ich verstehe von Ihrem Genuschel kein Wort. Menschenskind, Plath, reißen Sie sich doch zusammen. Ein deutscher Mann, blaue Augen, blond – und dann so ein jammervoller Anblick! Also was für’n Kreuz?«
Bruno wiederholte seine Klage.
     
»Ich werde es zu würdigen wissen«, sagte der Professor. »Und warum hat man es nur bis zum Gefreiten gebracht?«
    Bruno hob schuldbewußt die Schultern. »Ich habe bis zuletzt durchgehalten, Ehrenwort. Als dann die Amis durchbrachen und der Iwan Berlin schon überrollt hatte…«
    Er stockte. Caramallum war auf ihn zugegangen, pflanzte sich breitbeinig vor ihn auf. »Wer hat Berlin überrollt, und was ist mit den Amis?« erkundigte er sich drohend.
    Der arme Friseur nahm seinen ganzen Mut zusammen, dachte an Hintergeißberg und seine Hoffnungen. »Wissen Sie denn nicht, daß der Krieg bereits seit drei Wochen zu Ende ist? Wir haben verloren, Hitler – ich wollte sagen, der Führer – hat sich umgebracht und in einer Decke oder in einem Teppich verbrennen lassen. Der Hinke… Der Goebbels, meine ich, hat auch Gift geschluckt. Auch der Himmler ist hin, und den Göring haben sie eingesperrt…«
    Weiter kam er nicht, obwohl seine Aufzählung nicht ohne Dramatik zu sein schien. Caramallum hatte zugeschlagen. Bruno schrie auf, die Nase blutete ihm.
    »Ich will das nicht noch einmal erleben«, tadelte der Professor, »Grausamkeiten sind mir zuwider. Jetzt blutet er auch noch – schade um jeden Tropfen.«
    Von Pulex stand mit gekreuzten Armen vor Bruno Plath, der nichts mehr begriff. Für den hoffnungslos eingeschüchterten Träumer war in den letzten Minuten der Krieg aufs neue entflammt. Er hatte das Empfinden, durch den Eingang der Hölle gegangen zu sein. Des Professors Adlatus entschuldigte sich für sein Vorgehen: »Ich konnte nicht anders, es ging mit mir durch, als diese Laus so unverschämt vom Führer redete.«
    »Dafür habe ich Verständnis, Caramallum, trotzdem Vorsicht, kein Blut mehr. Sparsamkeit ist oberstes Gebot. Also, wie war das, Plath, der von der Vorsehung erwählte Führer ist tot, sagten Sie? In einer Decke oder in einem Teppich…? Ts, ts, ts… Eine erstaunliche Aussage. Mir liegen solche intellektuellen Scherze. Sollte ich Sie doch unterschätzt haben? Mitunter ist die Grenze zwischen Schwachsinn und Intelligenz hauchdünn. Sie Spaßvogel, vielleicht bin ich gar nicht Obergruppenführer, sondern nur ein Gefreiter wie Sie? Hahahaha… Die Amis sind also ihrer Meinung nach durch. Komisch nur, daß wir noch keine Kaugummifresser gesehen haben! Aber vielleicht haben sie sich hier versteckt? Sieh doch mal unterm Schreibtisch nach, Caramallum…«
    Der Angesprochene bückte sich prompt und meldete mit idiotischem Grinsen: »Keine Feindberührung!«
Bruno wischte sich das Blut von den Lippen. Ihm war nun mit furchtbarer Gewißheit klargeworden, daß er sich in der Gewalt von zwei Wahnsinnigen befand. Ich darf sie nicht reizen, bemühte er sich sachlich zu denken, ich muß auf alles eingehen. Er fühlte mit der Zunge, daß sich ein Zahn gelockert hatte. Hinter Caramallums Schlag steckte die Kraft eines Elefanten.
Das quälende Verhör wurde unterbrochen, als am Ende des Saales eine Tür klappte. Schritte kamen näher. Bruno kannte das gleichförmige Geräusch, das von benagelten Stiefeln herrührte. »Was gibt es, Hauptscharführer?« erkundigte sich von Pulex. »Ich hoffe, es sind angenehme Nachrichten.«
Ein Mann in einem seltsamen Aufzug stelzte im Stechschritt auf den Professor zu. Er trug, wie Bruno schon vermutet hatte, Kommißstiefel, hatte aber einen blauen Schlafanzug an, darüber eine undefinierbare Uniformjacke. Sein Gesicht konnte Bruno nicht erkennen. Der Eingetretene nahm von dem mißhandelten Gefangenen keine Notiz. Er salutierte und sagte mit klarer, deutlicher Stimme: »Nachricht vom Hauptquartier,
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