Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann mit den hundert Namen

Der Mann mit den hundert Namen

Titel: Der Mann mit den hundert Namen
Autoren: David Morrell
Vom Netzwerk:
ich bereits sagte, die leidige Politik. Jahrelang wurde Guatemala von Rechtsextremisten regiert.« Gonzales schielte unbehaglich zu den Beamten hinüber, als ob sie seine Wortwahl mißbilligen könnten. »Vor kurzem gelangten gemäßigte Kräfte an die Macht. Die neue Regierung ist dafür eingetreten, daß Ihr Land mit unserem wieder diplomatische Beziehungen unterhalten sollte. Das erklärt auch, warum Sie eingeladen wurden. Sie waren der geeignete erste Gast, denn Sie sind kein Politiker, und Ihr Fachgebiet hat etwas mit der guatemaltekischen Geschichte zu tun.«
    »Wenn ich Sie so höre …« Der Professor zögerte. »Ich habe den Eindruck, Sie arbeiten gar nicht für das Nationale Archäologische Museum, sondern für die Regierung. Wie hieß die Dynastie, die über Tikal herrschte?«
    Gonzales antwortete nicht.
    »In welchem Jahrhundert befand sich Tikal auf dem Höhepunkt seiner Macht?«
    Gonzales schwieg weiter.
    Bartenjew lachte höhnisch.
    »Sie befinden sich in Gefahr«, preßte Gonzales hervor.
    »Wieso? Ich verstehe wirklich nicht …«
    »Die Rechtsextremisten sind entschieden gegen Ihren Besuch. Trotz des Zerfalls des Kommunismus im Ostblock betrachten sie Ihren Aufenthalt als Beginn einer marxistischen Einflußnahme. Die ehemalige Regierung hat Todesschwadronen benutzt, um ihre Herrschaft zu sichern. Diese Einheiten gibt es noch. Es hat Morddrohungen gegen Sie gegeben.«
    Bartenjew sah ihn entsetzt an, Verzweiflung packte ihn. »Ich soll wohl wieder abreisen?« fragte er düster. »Das kommt nicht in Frage. Meine Frau bringe ich in Sicherheit, aber ich habe nicht die weite Reise unternommen, um das Land wieder zu verlassen, bevor sich mein Traum erfüllt hat. Ich bin zu alt. Wahrscheinlich habe ich so eine Chance nie mehr.«
    Gonzales schüttelte den Kopf. »Sofort wieder abreisen, das wäre politisch genauso schädlich wie der Versuch, Sie umzubringen. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein. Wir bitten Sie, sich in der Stadt nicht öffentlich zu zeigen. An Ihrem Hotel stellen wir Wachen auf. Wir bringen Sie so rasch wie möglich nach Tikal. Und dann ersuchen wir Sie, nach Verstreichen einer glaubhaften Zeitspanne – nach ein, zwei Tagen höchstens –, eine Krankheit vorzutäuschen und nach Hause zurückzukehren.«
    »Ein Tag nur?« Bartenjew fiel das Atmen schwer. »Oder zwei? So wenig, nachdem ich so viele Jahre auf diese Gelegenheit gewartet habe …«
    »Professor Bartenjew, hier geht es um politische Realitäten.« Politik, dachte Bartenjew und hätte am liebsten geflucht. Er war es jedoch ebenso wie Gonzales gewohnt, mit solch widerlichen Realitäten fertig zu werden, und analysierte hastig die Situation. Er war außerhalb Rußlands und konnte gehen, wohin er wollte – das war die Hauptsache. Es gab noch zahlreiche andere bedeutende Maya-Ruinen. Zum Beispiel Palenque in Mexiko. Emotional und wissenschaftlich reizte es ihn nicht so wie Tikal, doch es lag in erreichbarer Nähe, und dort wären sie sicher. Wenn die guatemaltekische Regierung es ablehnte, für weitere Kosten aufzukommen, spielte das keine Rolle, denn Bartenjew besaß eine heimliche Geldquelle, von der er nicht einmal seiner Frau erzählt hatte.
    Auch Geheimhaltung war mit dem blonden Amerikaner vereinbart worden, der in Bartenjews Büro in der Petersburger Universität aufgetaucht war und ihm mehrere Fotos von Maya-Hieroglyphen gezeigt hatte. In perfektem Russisch hatte er sich erkundigt, wieviel Bartenjew für die Übersetzung der Hieroglyphen und für die diskrete Behandlung des Auftrags verlangte. »Wenn die Handschrift interessant ist, verlange ich gar nichts«, hatte Bartenjew geantwortet, doch der Amerikaner bestand auf Bezahlung. Das Honorar war unerwartet großzügig gewesen: fünfzigtausend Dollar. »Um Ihre Diskretion im voraus zu honorieren, habe ich einen Teil in Rubel gewechselt«, erklärte der Fremde und überreichte dem Professor den Gegenwert von zehntausend Dollar in Rubel. Der Rest, so fuhr er fort, werde auf ein Schweizer Konto überwiesen. Vielleicht hätte Bartenjew eines Tages die Möglichkeit, in den Westen zu reisen, und in diesem Fall könne er leichter über das Geld verfügen. Noch zweimal war der Amerikaner gekommen, jedesmal mit anderen Fotos von Maya-Hieroglyphen und dem gleichen Honorar.
    Bislang war das Geld für Bartenjew weniger wichtig gewesen als die faszinierende, wenn auch verwirrende Botschaft der Bilderschrift, die einem kodierten Rätsel glich. Nun aber erhielt das Geld große Bedeutung, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher