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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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Flugzeuge Brandbomben warfen. Das brennende Gel aus den Bomben klebte an den Körpern der Menschen. Dann fiel ihm auf, dass mehrere Bomben den Zaun um das Lager beschädigt hatten, und obwohl die SS -Leute in den Bunkern waren, schienen etliche getötet worden zu sein. Trotzdem war es noch immer zu gefährlich für einen Fluchtversuch.
    Ernies Baracke stand noch. Die Häftlinge aus den anderen Blocks kamen, und alle kauerten sich für eine Nacht zusammen, ohne etwas zu essen bekommen zu haben. Sie rechneten mit dem Schlimmsten. Am nächsten Morgen hörten sie wieder Sirenen und gerieten in Panik. Menschen rannten in alle Richtungen. Kaum war Ernie aus der Baracke, sah er, dass der Elektrozaun durchhing und ein großes Loch darin klaffte. Sämtliche SS -Leute, die er sah, hatten die Beine in die Hand genommen und flohen. Er sah, wie Häftlinge über den Stacheldraht kletterten, und folgte ihnen. Kaum war er auf der anderen Seite, stürmte er los.
    Dann hörte er das tiefe Brummen von Flugzeugmotoren. Bomben wurden ausgeklinkt. Ernie rannte weiter über die Felder, während die Bomben rings um ihn explodierten. Er sah nach hinten, wollte wissen, ob das Lager getroffen war, denn die Piloten hoch über ihm konnten nicht gewusst haben, dass die militärischen Gebäude vor kurzem in ein Konzentrationslager umgewandelt worden waren. Ernie lief weiter, bis er das Gefühl hatte, ewig gerannt zu sein. Schließlich warf er sich in einen tiefen Graben am Waldrand und versuchte, zu Atem zu kommen.
    Als er den Blick schweifen ließ, entdeckte er einen toten Zivilisten. Den Kleidern nach hielt er ihn für einen Italiener; er schien in der Nacht zuvor getötet worden zu sein. Die Leiche war mit einer alten Uniformjacke, einer nicht einzuordnenden Hose und einer »grotesken Mütze« mit einem Schirm bekleidet. Ernie starrte auf den Toten und begriff erst in diesem Augenblick, dass er endlich frei war.
    Er drehte den toten Mann um und versuchte, ihm die Sachen auszuziehen. »Es gibt nicht Schlimmeres, als eine Leiche zu entkleiden«, sagte er. Die Totenstarre hatte eingesetzt, doch es gelang ihm, die weite Hose und die Jacke herunterzubekommen. Er streifte seine Häftlingskleidung ab und zog die Sachen des Toten über. Er war wieder Zivilist.
    Als Ernie diese Worte aussprach, trat zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit wieder ein Lächeln auf sein Gesicht. Ich spürte, wie ich mit ihm lächelte; ich konnte nachempfinden, was er in diesem Augenblick gefühlt haben muss.
    Nachdem Ernie die Kleider des Fremden angezogen hatte, sah er sich um und entdeckte in einiger Entfernung Leute, aber niemand achtete auf ihn. Der Wind riss Blätter von Papierbündeln, die auf dem Feld lagen. Ernie sagte sich, dass sie gutes Toilettenpapier abgäben. Als er ein Blatt aufhob, stellte er fest, dass es ein Flugblatt war, wie Flugzeuge es abwarfen. Er stand auf freiem Feld und las: »Deutsche, legt die Waffen nieder. Der Krieg ist vorbei. Ergebt euch. Euer Führer hat euch im Stich gelassen.« Ernie sagte, es sei die wunderbarste Nachricht gewesen, die er je erhalten hat.
    Auch ich durchquerte während dieser Zeit zu Fuß Europa. Mir war klar, dass Ernie längst nicht in Sicherheit war, und ich hatte den Verdacht, dass seine Geschichte noch einige Wendungen nehmen würde. Ich sollte recht behalten. Ernie durchquerte den Wald, bis er auf eine Landstraße kam. Auf dieser Straße wimmelte es von deutschen Zivilisten, die ihre Habseligkeiten auf Karren und allem, was Räder hatte, vor sich herschoben. Ernie nahm an, dass sie ausgebombt worden waren, und bemerkte sofort, dass keine jungen Männer unter ihnen waren, nur Greise, alte Frauen und Mütter mit Kindern.
    Dann entdeckte er eine stämmige Bauersfrau, die ihre Habseligkeiten auf einer Art Wagen schob. Als sie seine Kleidung sah, rief sie ihn zu sich; sie hielt ihn für einen Italiener. Ihm war augenblicklich die Gefahr bewusst, denn er sprach kein Italienisch, doch er vermutete, dass es der Bäuerin wahrscheinlich genauso erging. In den KZ s hatte Ernie Italiener sprechen gehört und stieß nun etwas hervor, das sich wie »non parlo« anhörte. Die Frau musterte ihn misstrauisch; dann befahl sie ihm mit einer Handbewegung, den Wagen zu schieben. Als er ihren Platz einnahm, entdeckte er einen großen Laib Brot, der ganz oben auf ihren Habseligkeiten lag.
    Ernie lächelte wieder, als er die Größe dieses Brotlaibs beschrieb. Er hielt die Hände so weit auseinander wie ein verrückter Angler, der den
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